top of page

„Ganz für dich“

Der Individual Lion S von MAN geht eigene Wege. Er schöpft aus dem Vollen und ist dabei weder Lkw vom Band noch eine Sonderedition.


MAN Individual Lion S

Aus dem Lkw, wie er vom Band rollt, ein Schmuckstück ganz eigener Art zu machen: Das ist bei MAN die Passion werkseigener Ateliers wie dem Truck Modification Center in Wittlich oder München.


Das Werk formuliert deren Verfahren so: „MAN Individual startet dort, wo die Serie endet.“ Was konkret bedeutet, dass kundige Hände das frisch vom Band gerollte Gefährt zuerst kräftig strippen. Da wird der Anwärter erst einmal diverser Teile wie innendrin Türtafeln oder Verkleidungen ledig, außen umfasst das Peeling Dinge wie Sonnenblende, Kühlergrill oder Radzierblenden.


Sie haben einem von MAN Individual entwickelten Satz an Teilen zu weichen, der bei bloßem Ersatz nicht haltmacht. Das riesige Rückwandmodul des MAN Individual zB ist etwas, das weit über die Serie hinausgeht, aber eben doch sozusagen ab Werk geliefert werden kann. Dazu gehört nicht nur die Montage des Gerüsts für diesen Einbauschrank, sondern eben auch die Verlegung all der Kabel und Anschlüsse, nach denen die zugehörigen Finessen wie Mikrowellen-Kochstelle, Kaffeemaschine oder Flachbildschirm nun einmal verlangen. Sind die verlegt, darf dort die ursprüngliche Verkleidung ihres Amtes wieder walten.


Ausgedient aber haben zB die matte Grillplatte, die einer Version mit sog. Klavierlack zu weichen hat, wie sie vor der letzten Modellpflege noch serienmäßig war. Rote Spangen in den Lamellen drunter aber lassen den Firnis dahinter gleich besonders gut zur Geltung kommen. An die Stelle der serienmäßigen Sonnenblende tritt eine aerodynamisch optimierte Version mit Lion S-Logo und rotem Zierstreifen.


Neu beim hier gefahrenen Individual Lion S, der in der Variante „Optikpaket in Mattschwarz“ antritt, sind zB die Karbonoptik im Bereich des Stoßfängers und auch schwarz ausgeführte Finnen hinter den Seitenfenstern.


Darin erschöpfen sich die schmucken Elemente, mit denen diese Variante des Individual Lion S antritt, aber beileibe noch nicht. Lackiert ist das Fahrerhaus zB in wahrhaft königlichem Purpur, bei MAN „Lion S red“ genannt und erst vor kurzem eingeführt.


Damit harmoniert vornehmes Schwarz besonders gut, wie es an vielen weiteren Stellen unseres Lion S in Erscheinung tritt. Ungewöhnlich, aber durchaus schick, prangt da zB die Typenbezeichnung statt silbrig schimmernd nun auf einmal in dunkler Prägung an den Türen. Untermalt wird der Schriftzug durch eine kleine Plakette, die in weißer Schrift auf schwarzem Grund und nicht ohne zusätzlichen Zierstreifen in Rot noch einmal darauf hinweist, aus welcher Manufaktur das Ganze stammt: „MAN INDIVIDUAL“ ist dort in Großbuchstaben zu lesen.


So sieht Liebe zum Detail aus. Und die setzt sich beim Exterieur fort in vielen weiteren mattschwarzen Komponenten, die von dunklen Felgen samt Radzierblenden über den hinteren Aufstieg bis hin zu schattig ausgeführter Auspuffeinheit sowie finster schimmerndem Dachlampenbügel reicht.


Anthrazit, Karbon und Rot lauten dann auch die Töne, in denen der Innenraum ein ganz besonderes Tänzchen aufführt. In purpurnem Rot treten da nicht nur die Sicherheitsgurte an, sondern auch die Ziernähte am lederbezogenen Volant. Leder respektive Alcantara, versteht sich, herrscht auch bei den Luxussitzen vor, die ihrerseits mit purpurnen Ziernähten an den Seiten sowie auf der wabenförmig gemusterten Lehne prunken. Zur Krönung des Ganzen prangt dann auch noch ein mit rotem Faden aufgestickter Löwe oben am Kopfteil des klimatisierten Gestühls. Diesem roten Faden folgen selbst die Luftausströmer unter den A-Säulen und auch die Fußmatten noch, die jeweils von purpurroter Bordüre gesäumt sind.


Karbonoptik kommt beim MAN Individual Lion S zum einen in einer Akzentleiste zu ihrem Recht, die natürlich mit Extra-Individual-Plakette bestückt ist und beifahrerseitig den Armaturen eine schicke abschließende Note in der obersten Etage gibt: genau dort, wo bei Bedarf das Vespertischlein raushüpft. Und damit nicht genug. Karbondesign taucht weiters an einer Stelle auf, wo es die wenigsten vermuten würden: Wie ein Schildplatt-Inlay ziert es den Korpus des Fahrzeugschlüssels.


Diesen gesteckt und gedreht, erwacht der 15,2 l große Reihensechszylinder D38 zum Leben und gibt im Stand erst einmal dumpfes Grummeln von sich. Den Fahrmodus Efficency eingelegt, wechselt das bei MAN 12.30 DD genannte und zur Traxon-Familie von ZF gehörige Getriebe lautlos aus Neutral in den Anfahrgang – und los kann die Fahrt gehen.


Schnell hangelt sich die Schaltung in den zwölften, direkt übersetzten Gang hinauf, in dem die relativ neue Standard-Hinterachsübersetzung von 2,31 (vorher 2,53) die Kurbelwelle mit gerade mal noch knapp 1.060 Umdrehungen pro Minute rotieren lässt (vorher rund 100 Touren mehr).


Da schnurt der MAN 18.640 also mit sehr ruhigem Puls über die Bahn. Zwar kann er bis hinab auf 900/min aufs volle Drehmoment von in diesem Fall 3.000 Nm zurückgreifen. Der Automatikmodus Efficiency aber übertreibt es nicht mit dem Ziehenlassen, schaltet meist bei der 1.000er-Marke fix zurück – und kann damit auch schon bei der überwiegenden Zahl der Autobahn-Anstiege auf unserer kleinen Rundtour von München ins Allgäu und wieder zurück seine Arbeit als getan betrachten.


Da die MAN-Kabine auch in Individual-Ausführung bestimmt nicht zu den Leisesten gehört, bleibt das Ohr stets schön im Bilde darüber, was sich im Maschinenraum so tut. Geräuschempfindliche könnten sich, auch mit einigem Recht, nun über den vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäßen Geräuschpegel im Fahrerhaus namens GX-MAN beschweren. Doch gibt es Schlimmeres, als diesem Paradeaggregat der Löwen-Motorenfamilie beim Schnurren zuzuhören: Großer Hubraum bringt eben immer nicht nur mächtig Drehmoment, sondern auch sonoren Klang mit sich.


Leichte Wehmut zieht eher beim Gedanken daran auf, dass die Zukunft des Big Blocks besiegelt ist. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass Feinschliff dieser Tage eher den Volumenmotoren wie einem OM471 bei Daimler oder eben dem D26 bei MAN vorbehalten blieb. Kurzum: Die Tage des D38 sind gezählt. Er fällt der Konzern-Raison von Traton zum Opfer.


Da schweifen die Gedanken schnell da hin, wie MAN und Scania wohl künftig bei den Schweren gemeinsame Sache machen dürften. Dass es nicht ganz so einfach ist, beide Marken holterdipolter über einen Kamm zu scheren, hat das Geschehen um von Scania stammendem Konzerngetriebe und auch dem neuen 13 l-Motor des Konzerns (ebenfalls schwedischer Provenienz) gezeigt: Ganz so einfach wie gedacht will beides sich eben doch nicht so recht in die MAN-Architektur pfropfen lassen.


So kann andererseits obendrein als ausgemachte Sache gelten, dass Traton eines Tages nicht nur bei den Motoren, sondern auch bei den Fahrerhäusern Tabula rasa macht und sich dann zu Konzerngetriebe und -motor eben auch noch die Konzernkabine gesellt.


Womit dann vielleicht auch gleich eine Antwort darauf gegeben wäre, wann die Traton-Antwort auf die neuen schweren DAF mit ihren verlängerten Kabinen gemäß der neuen europäischen Vorschriften folgt: Es ist kaum anzunehmen, dass sich MAN oder Scania bis dahin noch, jeder für sich, eine übermütige und kostspielige Extrawurst braten.


Ob dann eines Tages auch, sollte der D38 tatsächlich abtreten, im MAN wieder mal ein V8 als Big Block Einzug unter das mit MAN-Logo versehene Blech halten wird, das dürfte wohl die pikanteste und spannendste Frage sein, die sich an solche Gedankenspiele knüpft. Denn dass Scania vom V8 lassen könnte, wäre schon eine arg gewagte These. Noch gewagter käme allerdings die Mutmaßung daher, die Schweden hätten wenig dagegen, ihr Kronjuwel mit den Bajuwaren selbstlos zu teilen – was dem hier gefahrenen Big Block Individual unterm Strich den besonderen Glanz der Krönung einer Epoche verleiht, die in ein paar Jahren Geschichte sein wird.


Wie andererseits nun selbst ein in seinen Grundfesten noch von der Jahrtausendwende her stammendes Fahrerhaus tadellos auf die Höhe der Zeit zu bringen ist, hat MAN in Gestalt des aktuellen TG3 jedenfalls eindrucksvoll demonstriert.


Einzig der etwas steile Einstieg des eben nur 2,44 m breiten Gehäuses (mehr ließen die Vorschriften seinerzeit nicht zu, heute dürfen’s gern 2,50 m sein) verrät ein bisschen das Alter, dessen sich ein TGX aber nicht zu schämen hat. Im Gegenteil: Beim umbauten Raum steht er mit insgesamt 9,2 bis 9,3 m³ Innenvolumen einem Actros mit Gigaspace-Kabine kaum nach und fährt dem Konzernbruder Scania bei dessen Top-Kabine (8,7 m³) gar davon.


Das Individual-Rückwandmodul hievt den geschlossenen Stauraum in der GX-Kabine auf beeindruckende 1.400 l. Ohne diesen Einbauschrank wären es aber auch immerhin noch satte 920 l.


Bis auf die mittig etwas seltsam strukturierte Stauraum-Landschaft unter der Liege lässt die MAN-Kabine von heute kaum Wünsche offen. Der Liege selbst mangelt es zwar an einem verstellbaren Kopfteil, doch fungiert eine ausziehbare, von oben herablangende Art Matte als gleichwertiger Ersatz, Kopf oder Rücken entsprechend zu stützen. Das Bett selbst kann mit gut 800 mm maximaler Breite keineswegs als Schmalhans gelten und ist mit zeitgemäßem Lattenrost tadellos unterfüttert.


Als Kleinod ganz eigener Art gönnt MAN dem Fahrer da hinten im Schlafabteil nicht nur ein ausgefeiltes Ablagenkonzept, sondern verwöhnt ihn darüber hinaus mit einem Rückwand-Bedienmodul, das ein wahrer Tausendsassa ist. Die Box birgt nicht nur die üblichen Funktionen wie Standheizung, Wecker und dergleichen mehr, sondern kann auch als Schlüssel dienen, der nichts weniger als die gesamte Welt der Bordmenüs zugänglich macht.


Zur Bedienung sei hier nicht mehr erwähnt – wie schon so oft geschrieben – als dass sie außerordentlich gekonnt die Balance sozusagen zwischen Analog und Digital hält. Dass MAN den vielzitierten Lead im Traton-Konzern innehat, was die Elektronik angeht, auch das ist dem TG3-Konzept anzumerken. Ob Drehsteller für das Sekundärdisplay oder die Lenkradtasten-Regie fürs Primärdisplay: All das stellt vor wenig Rätsel, ist also leicht zu lernen – und passt im Alltag wie angegossen.


Da fügt sich nahtlos ins Bild, dass die Spurrückführung sachte, aber entschieden arbeitet. Exakt fünf Newton beträgt die Kraft, die der Fahrer aufbringen muss, um sie ggf. zu übersteuern. Salopp gesagt: Das entspricht ungefähr einem Pfund.


Lässt er die Hände mal vom Lenkrad, dann ist es ein kleines Schauspiel für sich, wie das System mit ganz kleinem Hin und Her des Lenkrads abtastet, ob der gewünschte Widerstand von Fahrerhand noch zu finden ist – und im Zweifelsfall alsbald moniert, dass ihm solche Führung fehlt.


Als schon eher etwas gewöhnungsbedürftig fällt beim Fahren auf, dass der Tempomat beim Einfahren in Tunnels automatisch suspendiert wird. Doch ist die Intervention an der Lenkradtaste minimal, die ihn wieder zurückholt.


Das Spiegelersatzsystem Optiview schließlich: An seiner Optik gibt es nicht viel zu kritisieren. Die Logik, die dahintersteckt, besonders bei der Segmentierung des Bilds im Monitor, will aber erst einmal begriffen sein. Kennt sich der Fahrer mit den Gegebenheiten aus, kann er gut damit leben.


Unterm Strich aber sind solche kamera- und monitorbasierten Systeme nicht jedermanns Fall, haftet ihnen eben systembedingt doch folgender Nachteil an: Beim Blick in den konventionellen Spiegel braucht das Auge den Fokus nicht groß von Fern auf Nah zu kurbeln, beim Blick in den Monitor sehr wohl. Das ist zB für Träger einer Lesebrille ärgerlich, weil sie dann auch noch den Kopf zu heben haben. Und auch manche Fahrer, die keine Brillenträger sind, berichten von früherer Ermüdung des Auges.


So gesehen war es von Mercedes wahrscheinlich ein kluger Schachzug, ein solches System serienmäßig einzuführen. Wie die nicht zu üppige Nachfrage bei MAN zeigt, wo Optiview als Sonderausstattung gelistet ist, brennt die Welt dann doch nicht unbedingt auf Alternatives zum herkömmlichen Spiegel. Auch wenn inzwischen weitere Hersteller wie DAF oder Volvo in dieser Hinsicht nachgezogen haben.


Beim MAN Individual Lion S dürfte die Hürde, zum Kamerasystem zu greifen, sogar noch einen Tick höher sein als sonst schon – gibt es dort für die konventionellen Spiegel doch als weiteres der Design-Highlights besonders fesche Spiegelkappen, die in Karbon-Optik ausgeführt sind.


Und als weiteres Extra einen schwarzen Löwen aufgeprägt haben, der so kräftig brüllt wie sein verchromtes Bruderherz vorn an der Fahrzeugfront.


0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page