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Absturz

Professioneller Umgang mit einer Tragödie


Unfall Felbermayr

Manche Unglücksfälle will man sich nicht vorstellen, auch wenn sie in zeitgenössischen Filmproduktionen immer wieder thematisiert werden. Der Absturz eines Kranfahrzeugs der Firma Felbermayr von der Brücke der Tauernautobahn 30 m in die Tiefe gehört zu den furchtbaren Tragödien unserer Zeit, in der man von den Leistungen der Spitzentechnik überzeugt ist und es vielleicht ein bisschen aus dem Blick geraten ist, wie leicht all das kippen kann. Auch der dramatische Brückeneinsturz von Baltimore zeigt überdeutlich die Zerbrechlichkeit unserer hochtechnischen Welt. Im Mittelpunkt steht der Mensch, auch wenn ihn angesichts hochprofessioneller automatisierter Abläufe keine individuelle Schuld mehr trifft. Tragödien wie diese machen es dringlich, darüber nachzudenken, wie er als Fehlerquelle abgesichert werden kann. Im Unglück wird er zum relevanten Opfer, während der materielle Schaden zum Versicherungsfall und zur logistischen Herausforderung wird. Auch wenn durch Glück, Zufall oder Besonnenheit oft keine weiteren Opfer zu beklagen sind, ist jedes eines zu viel.



Großer menschlicher Verlust


Der Brückensturz des Kranwagens forderte ein Menschenleben, und die bewegende Trauer der Kollegen dieses 55-jährigen Berufskraftfahrers aus Klagenfurt, den sie „Lacky“ nennen, gibt dem immensen Verlust, der dadurch verursacht wurde, ein menschliches Gesicht. Alles andere sind Zahlen, die selbst die Versicherungen nicht tangieren, weil sie rückversichert sind. Bei allen Schilderungen der Details und auch der beachtlich hohen Leistungen im Zusammenhang mit den Lösch- und Bergungsarbeiten bleiben die Folgen für den Fahrer, seine Angehörigen und Kollegen der wesentlichste Aspekt dieser Geschichte, vielleicht der einzige wirklich wesentliche.

Der Unfall ereignete sich am 28. März kurz nach 4 Uhr morgens auf der Tauernautobahn bei Villach-West/Obere Fellach. Der Kran-Lastwagen durchbrach die Fahrbahnbegrenzung und fiel etwa 30 m von der Autobahnbrücke herab auf steiles Böschungsgelände, er hätte allerdings auch auf die Bahngleise oder eine Bundesstraße fallen können, was möglicherweise noch zahlreiche weitere Opfer gefordert hätte. Auch hätte er in die Drau stürzen können, was wiederum für erhebliche andere Schwierigkeiten bei der Bergung gesorgt hätte. Das Wrack blieb zwischen Tauernautobahn und Drautal-Straße (B100) liegen und fing Feuer. Acht Feuerwehren aus Villach Stadt und zwei weitere aus Villach Land rückten mit 150 Mann und 27 Fahrzeugen aus, um den zu diesem Zeitpunkt noch lebenden, jedoch eingeklemmten Fahrer aus seiner Kabine zu bergen, den Brand zu löschen und die Unfallstelle zu sichern. Der erste Löschzug hatte den noch irrtümlichen Einsatzbefehl, es solle ein brennender Osterhaufen gelöscht werden. Erst während der Anfahrt wurde die Situation konkretisiert. Insgesamt sollte der Einsatz nahezu fünf Stunden dauern, nach und nach wurden die Feuerwehren von Gruppen des Rettungsdienstes, der Bergrettung, der Polizei und der ASFINAG unterstützt. Die Autobahn wurde an der Unfallstelle gesperrt.



Sinnvolle Arbeitsteilung


Die Feuerwehren bildeten drei Teams: Eines war für die Wasserversorgung zuständig, eines für die Rettung des Fahrers und eines für die Bekämpfung des Brandes. Zwar schafften sie die Befreiung des Verunglückten, wofür die Windschutzscheibe entfernt und eine Bergung mittels eines Spineboards durchgeführt wurde, aber leider gelang es ihnen nicht, den Fahrer zu retten.


Bei einem Spineboard handelt es sich um ein modernes Hilfsmittel zur Rettung von Personen, bei denen man mit einer Verletzung der Wirbelsäule rechnet. Es ist typischerweise 183 cm lang und 40 bis 45 cm breit und an allen Seiten mit Griffschlitzen versehen, durch die es sehr gut von Helfern festgehalten werden kann. Sein Zweck besteht (in diesem Fall) darin, den Patienten möglichst schonend aus dem Fahrzeug zu bergen, indem man das Gerät zwischen den Patienten und den Sitz schiebt und dann den Patienten mit mehreren Helfern achsengerecht auf das Brett zieht. Dann kann er schnell und schonend aus dem Fahrzeug gehoben werden. Da sich das Spineboard außerdem wegen der vielen Griffmöglichkeiten sehr gut für die Rettung von Patienten im unwegsamen Gelände anbietet und der Verdacht einer Verletzung der Wirbelsäule und des Gehirns bestand, war dies das am besten geeignete Rettungsmittel.


Die Löschmaßnahmen gestalteten sich zwar schwierig, allerdings war aufgrund der unmittelbaren Nähe der Drau die Wasserversorgung schnell gewährleistet. In dem steilen Gelände war es jedoch herausfordernd, die Einsatzkräfte an das Unfallfahrzeug zu führen und die Sicherheit der Lösch- und Bergungsmaßnahmen zu gewährleisten. Auch war unklar, ob das schwer beschädigte Fahrzeug vielleicht weiterrollen würde. Daher wurde der Brand aus größerem Abstand bekämpft. Die B100 war während des Einsatzes in beiden Richtungen gesperrt. Auf der Autobahn waren die Leitschienen auf einer Länge von etwa 60 m zerstört, abhängende Teile drohten ebenfalls in die Tiefe zu fallen.



Nasse, steile Böschung

Die Arbeiten im sehr steilen, vom Löschwasser aufgeweichten Gelände gestalteten sich als gefährlich, zumal 20 m lange Leitschienenteile von der Brücke herabhingen. Die am Einsatz beteiligten Personen mussten daher auch sehr gut auf ihre eigene Sicherheit achten. Bereits gegen 5.25 Uhr war der Brand gelöscht. Gegen 8.30 Uhr zogen die zahlreichen Einsatzkräfte ab.


Die weitere Sicherung und Wiederherstellung der Unfallstelle wurde zu einer logistischen Herausforderung, die sich bis über die Osterfeiertage hinziehen sollte. Die Bergung des etwa 65 t schweren Fahrzeugs wurde von der Firma Felbermayr selbst übernommen. Hierfür wurde zunächst ein Bergungsplan erarbeitet, wobei man sich auch mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob der Kranwagen zerlegt oder in einem Stück abtransportiert werden sollte. Die Bergung des Fahrzeugs erfolgte dann erst nach den Osterfeiertagen. Die Wiederherstellung der beschädigten Leitschiene wurde sehr schnell in Angriff genommen, da eine ungesicherte Autobahnbrücke natürlich für die weiteren Fahrzeuge äußerst gefährlich ist, die Sperrung aber möglichst rasch aufgehoben werden sollte.


Die Bergung des Unfallfahrzeugs wurde ab dem 3. April durchgeführt und erwies sich als logistische Großaufgabe. Zunächst wurde nach einer witterungsbedingten Verzögerung ein Probe-Hub durchgeführt, außerdem wurden Vorbereitungen für die Bergung des Fahrzeugs getroffen. Zahlreiche Schaulustige, die auf der Bundesstraße anhielten, um Bilder zu machen, erwiesen sich als so störend, dass in der Folge die Unfallstelle großräumig abgesperrt wurde, damit die Bergungsarbeiten ungestört durchgeführt werden konnten. Bei den weiteren Bergungsarbeiten stellten sich die Neugierigen auf der anderen Seite der Drau in Position, wenigstens behinderten sie dort nicht den Einsatz. Für die beteiligten Mitarbeiter der Firma Felbermayr war die Bergung eines ihrer Fahrzeuge auch emotional schwierig.



Zwei Bergungskräne

Für die Heranführung der beiden für die Bergung bereitgestellten Kräne wurden zunächst eine Behelfsstraße und Stellplätze angelegt. Diese beiden Fahrzeuge trafen um kurz nach 8 Uhr ein, hoben das Unfallfahrzeug an und stellten es auf. Damit war die erste größere Herausforderung geschafft. Etwa eine halbe Stunde später wurde der Autokran wieder gehoben und auf die Behelfsstraße gesetzt. Diese Arbeit erfolgte bei höchster Konzentration in kleinen, äußerst präzisen Schritten und erwies sich für die beteiligten Mitarbeiter als so fordernd, dass sie danach eine Pause benötigten. Der letzte Schritt bestand im erneuten Anheben des Kranwagens, um ihn auf einen Transportwagen zu stellen, was erst um 11 Uhr vollzogen war. Der Konzernsprecher äußerte hierüber, dass er einen derartigen Einsatz in technischer Hinsicht noch nie erlebt hat. Die Mitarbeiter an der Unfallstelle zeigten verhaltene Erleichterung angesichts dieser Meisterleistung. Das Unfallwrack wurde danach zunächst an einen nahegelegenen Parkplatz gefahren, wo es von der Feuerwehr grob gereinigt wurde. Danach wurde es in die Firmenzentrale in Wels gebracht, wo genauere Untersuchungen die Unfallursache klären sollen.


Wenn die Sperrungen aufgehoben und die letzten Spuren dieses Unglücks beseitigt sind, deutet für die meisten Verkehrsteilnehmer nichts mehr darauf hin, welche Szenen sich hier unmittelbar vor Ostern abgespielt haben. Doch unter den Kollegen des Unternehmens und in der Szene der Berufskraftfahrer ging nun die Trauerarbeit in ihre schwere Phase. Denn jetzt standen nicht mehr die technischen Aufgaben im Vordergrund, die kurzfristig zu bewältigen waren. Der verdiente Kollege, der schon seit Jahren in seinem Beruf tätig war und aus naheliegenden Gründen nur mit seinem Spitznamen „Lacky“ bezeichnet wird, hatte einen sehr guten Stand innerhalb der Belegschaft. Im Internet wurden zahlreiche tiefempfundene Beileidsbekundungen geäußert, auch von Mitarbeitern anderer Firmen. Auch als Außenstehender kann man unmittelbar erkennen, welche tiefe Lücke dieser Unfall in die Gemeinschaft der Kollegen gerissen hat.



Mehr Sicherheit, aber wie?

Über die Unfallursache ist bisher nichts bekannt und wollen wir auch nicht spekulieren. Es ist aber trotzdem auch zu bedenken, dass sich die Folgen des Sturzes beispielsweise mit einem akuten Herzproblem als dessen möglicher Ursache addiert hätten. Bis der Unfall gemeldet wurde und die Rettungskräfte eingetroffen sind, der Patient geborgen ist und die medizinischen Erstmaßnahmen eingeleitet werden können, vergeht auch bei absolut professioneller Herangehensweise leider sehr viel Zeit. Das vermindert die Überlebenswahrscheinlichkeit des Leidtragenden eines solchen Unfalls extrem.


Alle bekannten Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bergung und den Rettungsversuchen waren offensichtlich sehr gut koordiniert und wurden äußerst professionell durchgeführt. Die beteiligten Einsatzkräfte, insbesondere auch die Kollegen bei Felbermayr, die mit der Bergung des havarierten Fahrzeugs betraut waren, haben mit ihrem Einsatz und ihren Höchstleistungen dem verunglückten Kollegen ihre Referenz erwiesen, was – Zufall oder nicht – gerade zum Zeitpunkt des Osterfests dessen tiefere Bedeutung auf eine besondere, sehr wirklichkeitsnahe Art begreifbar macht.


Tragödien dieses Formats lassen sich wahrscheinlich nie völlig vermeiden, aber vielleicht finden die in verschiedenen Bereichen und mit teilweise hoher Spezialisierung tätigen Unternehmen, die mit schweren Spezialfahrzeugen operieren, die eine oder andere Maßnahme zur Erhöhung der Sicherheit. Autonome Steuerungs- und Notrufsysteme könnten dabei ein wichtiger Baustein sein. Die technischen Voraussetzungen, mit denen sich ein führerlos gewordener Kranwagen auf der Fahrbahn halten lässt, sind bereits vorhanden. Im Falle des Containerschiffes, das die Brücke von Baltimore zum Einsturz gebracht hat, würde so etwas nichts bringen, weil dort offensichtlich das gesamte Steuerungssystem ausgefallen ist. Bei Straßenfahrzeugen sieht es anders aus, und für sensible Bereiche wie den Gefahrguttransport oder besonders gewichtige Bau- und Hebemaschinen läge darin eine praktikable Möglichkeit, die Sicherheit zu verbessern.


Ob über eine Verstärkung der Leitschienen nachgedacht werden sollte, müssen sich die Fachleute bei der ASFINAG überlegen. Möglicherweise könnte sie an bestimmten Stellen des Verkehrsnetzes sinnvoll sein, beispielsweise immer dort, wo neben der Fahrbahn ein Höhenunterschied besteht. Durch Maßnahmen dieser Art, die sehr kostspielig sind, werden aber keine andersgearteten Unfallmöglichkeiten verhindert. Eine weitere Möglichkeit, tragische Verkehrsunfälle seltener zu machen, besteht generell in einer besseren Untersuchung der Gesundheit von Fahrzeugführern, denn es haben sich auch mehrfach Unfälle von Reise- und Linienbussen ereignet, bei denen gesundheitliche Probleme des Fahrers als Ursache festgestellt wurden. Vielleicht werden wir eines Tages dahin kommen, Puls und EKG des Fahrers während der Fahrt auszuwerten. Auch dafür steht die notwendige Technik längst bereit. Ein Warnsystem könnte bei bestimmten medizinischen Problemen ebenso anschlagen wie bei einem Fußgänger im toten Winkel. Wenn Sicherheit das oberste Gebot ist, sollte man ergebnisoffen darüber nachdenken, wie man sie am besten verwirklichen kann.


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