Test: Iveco Daily 35 S 12. Jetzt geht er auch schon auf die 30 zu, der Iveco Daily. In der aktuellen Generation ist er reif wie nie zuvor – hat sich aber viel von seinem rauen Charme bewahrt. Erleben Fahrer und Besitzer hier ein blaues Wunder?
Dieser Iveco Daily bringt serienmäßig schönes Wetter und gute Laune mit: Metallisch hellblau ragt der Transporter himmelhoch auf, denn so ein Chassis-Transporter mit Hinterradantrieb ist von Haus aus wuchtiger als alles, was in dieser Klasse sonst so über die Straßen fährt. Der Rundgang um die Karosserie zeigt einen eigenwilligen Faltenwurf, der ein Bügeleisen vertragen könnte, eine Segmentbauweise aus diversen Blechtafeln und eine breite schützende Beplankung der Weichteile, ähnlich dem Suspensorium von Kampfsportlern. Auch der raue Betrieb als Kurier und Paketverteiler oder Speditions- und Handwerkermobil ähnelt schließlich mitunter einem Nahkampf. Feinheiten sind da manchmal zweitrangig, reden wir also nicht über Spaltmaße und schwergängige Türen. Der Daily ist als handfester Typ nichts für Zartbesaitete.
Fast schon ein Suchspiel: blauer Daily vor blauem Himmel
Aber für Praktiker. Vorn ein Auftritt im Stoßfänger zum Scheibenputzen, rundum kräftige Türgriffe, hinten wegen des hohen Bodens eine Stufe plus Haltegriff. Jener erinnert an den 78er-Daily. Drinnen im Laderaum strahlen drei helle LED-Leuchten an der Decke. Garniert von einem ganzen Sternenhimmel – zur Sortimo-Einrichtung des Testwagens zählte eine zusätzliche Beleuchtung mit LED-Schläuchen – eine Mischung aus Weihnachtsbeleuchtung und Schaufensterdekoration. Und separat geschaltet, also Vorsicht: Wer unvorsichtig einfach die Türen schließt, dem droht am nächsten Morgen eine leere Batterie – das ließe sich funktioneller lösen. Boden und Seitenverkleidung im Frachtabteil sind stabil und sinnvoll, ebenso die blecherne Verkleidung der Radkästen und die Verteilung der stabilen Zurrösen. Der Staplerfahrer aber muss mit dem Hubmast Acht geben: Das Gehäuse der dritten Bremsleuchte ragt vorwitzig aus dem Dachrahmen.
Die Waage taxiert den stämmigen Transporter leer auf exakt 2,3 t, für einen Hecktriebler in Chassisbauweise mit allerhand Sonderausstattungen ein respektabler Wert. Nun ist aber auch klar, warum der Aufbau mitunter ein wenig ächzt und das Fahrwerk poltert. Auch Iveco scheint der Karosserie nicht recht zu trauen: Sechs Jahre Garantie gegen Durchrostung sind nicht viel. Andererseits ist das Chassis enorm tragfähig: Die zulässigen Achslasten bieten sehr große Reserven für Punktbeladung, 3,5 t Anhängelast sind aller Ehren wert, ebenso das zulässige Zuggesamtgewicht von vollen 7 t.
Einschließlich Zubehör wiegt der Daily leer exakt 2,3 t, angesichts von Hinterradantrieb und Chassisbauweise angemessen.
Weiter oben im Cockpit ist der Daily reifer denn je. Stimmt, die Kunststoffe sind hart und teils kratzempfindlich. Ja, die Türen lassen auf Fensterhöhe nacktes Blech sehen. Die Armaturentafel aber ist elegant symmetrisch geschwungen, eine dunkelblaue Beplankung lässt den Fahrer nicht nur Schwarz sehen, dezenter Chromschmuck für die Klimaregler wertet das Umfeld auf. Jede Menge offene Ablagen schlucken den täglichen Kleinkram, die Türen sind gleich vierstöckig gegliedert und die geräumige Sitztruhe des Beifahrer-Doppelsitzes fasst große Gebinde. Steckdosen und Smartphone-Ablagen sind dort angesiedelt, wo man sie benötigt, Feinheiten wie das kleine Schubfach für Karten, der Klapptisch in der Rückenlehne mit Klemmbrettfunktion oder die verkleidete Trennwand wirken liebevoll in der einst eher grobschlächtigen Kabine. Platz gibt es genug, auch für die Knie auf dem Mittelsitz. Der Fahrersitz jedoch wirkt etwas lieblos: Sitzfläche zu kurz, Lehne kaum ausgeformt. Beim Aussteigen rutscht der Fahrer über eine harte Kante und die Längsverstellung ist knapp. Die Sitzposition passt besser als früher, aber nicht perfekt. Gleiches gilt für das nur längs verstellbare Lenkrad. Mehr Mühe haben sich die Entwickler mit den Spiegeln gegeben, vor allem die riesigen Weitwinkelgläser unterstützen beim Fahren. Indes sind sie nicht verstellbar. Zu den positiven Überraschungen des Daily gehört sein Fahrkomfort. Einst ein harter Knochen, tritt der Transporter heute vergleichsweise samtig auf. Leer liegt er recht straff, aber nicht hart auf der Straße, beladen überraschend komfortabel. Allein kurze Stöße dringen deutlich bis ins Fahrerhaus durch, hinzu kommt das Fahrwerkspoltern. Ein gespaltenes Bild vermittelt die Lenkung. Bei niedrigen Geschwindigkeiten arbeitet sie angenehm straff und zielsicher, wenn auch mit mäßigem Fahrbahnkontakt. Hinzu kommt ein angenehm kleiner Wendekreis. Bei hohem Tempo verkehrt sich der gute Eindruck ins Gegenteil, dann agiert die Lenkung zu leicht und wenig genau, lässt der beladene Transporter den Geradeauslauf vermissen und streunt ein wenig unstet über die Fahrbahn. Auch ist der Daily von Haus aus kein Kurvenräuber, er neigt sich bei schneidiger Fahrweise schwerfällig zur Seite, ebenso bei flotten Spurwechseln. Auch diesseits von ESP-Grenzen macht der Transporter seinem Fahrer unmissverständlich klar: So bitte nicht.
Der Laderaum liegt im ersten Stock, drinnen Illumination mit einer Festbeleuchtung.
Aber Tempo ist ohnehin angesichts der milden Motorisierung kein Fall für den Daily. 85 kW (116 PS) lautet der Einstieg in die Daily-Welt. Das klingt verhalten, ist angesichts der Kraftentfaltung indes deutlich mehr, als die Papierform vermuten lässt. Schließlich erreicht der 2,3 l-Diesel – obwohl recht drehfreudig – seine Höchstleistung bereits bei 2.500 Touren und das maximale Drehmoment beträgt ansehnliche 320 Nm. In Verbindung mit dem fein abgestimmten Achtgang-Automatikgetriebe von ZF läuft der Daily deshalb deutlich flotter als vermutet und hält auch voll beladen gut im Verkehr mit. Der reine Beschleunigungswert fällt zwar mäßig aus, auch bricht die Leistung auf Autobahnsteigungen schnell ein. Doch in der Stadt, außerorts und auf flachen Autobahnen überzeugt der Daily. Der Motor strengt sich dafür spürbar an. Objektiv liegen die Geräuschmesswerte im Hauptfahrbereich zwar günstig, aber das Nageln des Dieselmotors ist unüberhörbar. Bei höheren Geschwindigkeiten addieren sich dazu laute Windgeräusche, dann braust es stürmisch um die Kabine. Weniger ist beim Daily beim Thema Geschwindigkeit mehr.
Dann fasst auch die Wandlerautomatik gekonnt zu. Sie wechselt flink und ruckfrei die Gänge, kurz nach dem Anfahren flutscht schon die dritte Schaltstufe hinein, Tempo 50 heißt bereits Gang sechs und 1.300 Touren. Den achten Gang legt die Technik bei gekonntem Umgang mit dem Gas drehzahlschonend bei knapp 80 km/h ein, bei Tempo 100 orgelt der Daily mit nur 1.800 Touren dahin. Bergab denkt das Getriebe mit und schaltet zurück, bergauf wird gedreht wenn nötig und im hohen Gang gezogen wenn möglich. Prompt fährt inzwischen jeder dritte neue Daily mit Automatik – ein verblüffender Erfolg.
Hübsch ist das Lichtspiel im Wählhebel beim Programmwechsel, erhellend die Schaltanzeige in den Instrumenten, praktisch die P-Taste, denn das Getriebe wechselt nach leichtem Druck aus Vorwärts- oder Rückwärtsstellung in die Parkstellung. Die etwas gewöhnungsbedürftige Bedienung ist also bei näherem Hinsehen überschaubar, die drehzahlorientierte Power-Stufe im Vergleich zum Eco-Programm überflüssig. Eco ist ohnehin nach jedem Motorstart von ganz alleine eingelegt. Die hervorragende Automatik trägt ein gerüttelt Maß zu einer entspannten Fahrweise bei, die sich im Daily von selbst einstellt.
Sie senkt den Verbrauch, auf der Teststrecke lag die Spanne voll ausgeladen recht eng zwischen 9,4 und 13,9 l/100 km. Im Schnitt kamen 10,8 l/100 km heraus. Rekordverdächtig ist dies nicht, denn Iveco verzichtet zB auf eine Start-Stopp-Automatik, das kostet Sprit in der Stadt. Kosten senken dagegen lange Wartungsintervalle, auch kommt der Diesel beim Wechsel mit wenig Öl aus.
Und ein AdBlue-Zuschlag ist beim 3,5-Tonner nicht erforderlich, denn der Motor erfüllt als Einziger seiner Klasse Euro 6 ohne SCR-Technik. Eine Kombination aus Niederdruck- und Hochdruck-Abgasrückführung soll es richten. Bei den schwereren Kalibern klappt dies nicht mehr, vermutlich auch nicht bei der nächsten angekündigten Verschärfung der Abgasstufe Euro 6. Eine Blindklappe für die AdBlue-Befüllung ist unten in der B-Säule bereits vorgesehen. Mit SCR wird der Daily dann nicht nur sauberer, sondern auch teurer, schwerer – und vielleicht sparsamer.
Die gute Laune bleibt trotzdem serienmäßig eingeschaltet. Gelassen schlendert der Iveco Daily dahin, er ist ein echtes Unikat mit ausgeprägten Eigenschaften. Immer noch ein rauer Bursche, auch wenn er inzwischen gute Manieren zeigt. Und wenn er hochhausgleich und metallicblau vor einem Frühlingshimmel aufragt, dann wird das Bild schon fast zum Suchspiel.