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Legale Länge

Mit dem DAF XG+ ist den Niederländern ein echter Coup gelungen. Wir konnten einen Schulungswagen mit 530 PS und unvergleichlichen 4.000 mm (!) Radstand abseits der normalen Pressetests Probe fahren.


DAF XG+ mit 530 PS 4.000 mm Radstand

Rein optisch besticht das Fahrzeug durch eine auffällige, top dynamische Silhouette. Ein um rund 160 mm nach vorne verlängertes, scharf zugeschnittenes Fahrerhaus und 200 mm mehr Radstand als gewohnt sind auf Anhieb sowohl im Freiland als auch im Autobahntempo ein spürbarer Fortschritt in puncto Geradeauslauf, Spurtreue und Geräuschkulisse. Dazu gibt es Windschlüpfrigkeit, gesteigerte Crashsicherheit und merklich mehr Komfort für den Lenker als Trumpfasse frei Haus. Die Seitenansicht des neuen Flaggschiffs zeigt ein Fahrerhaus, das sich nach allen Regeln der Technik dem Fahrtwind entgegenstreckt, so weit es nur geht. Die Windschutzscheibe ist beachtlich geschwungen und sensationell passgenau, wie man es eigentlich nur aus der Pkw-Oberklasse kennt, und gewährt vom Lenkerplatz aus eine fantastische Aus- und Übersicht. Seitlich finden sich verlängerte Luftleitkörper an den Flanken. Aerodynamik wird besonders groß geschrieben, der Luftstrom wird sogar hinter den Türen mit Gummilippen gegen die Karosse akribisch zielgerichtet abgedichtet und weitergeleitet. Das hat es in dieser Ausführung so noch nicht gegeben. Und gerade dieses neue Fahrerhaus ist es, das in letzter Zeit einiges an Verunsicherung in die Reihen der DAF-Jünger gebracht hat – gab es doch zahlreiche Anhaltungen und Anzeigen der Exekutive, ja sogar Kennzeichen sollen abgenommen und Abstellungen an Ort und Stelle angeordnet worden sein. Ist das alles noch legal oder nicht? Fragen, die der kleine Polizist vor Ort nicht immer treffsicher beantworten konnte oder auch noch immer nicht kann. Innovation hat für Hersteller also offenbar nicht immer nur ihre Vorteile, insbesondere dann, wenn man der Erste ist, der sich auf neue Wege begibt. Stein des Anstoßes ist, dass mit den neuen Fahrerhäusern bei Sattelkraftfahrzeugen teilweise die 16,50 m und bei Kraftwagenzügen die 18,75 m – die bisher größten erlaubten Längen – überschritten werden. Zwar ist man weit weg vom Gigaliner mit seinen 25,25 m, das bisherige maximale Standardmaß wird jedoch schlichtweg überschritten. Aber genau das scheint sich bei so manchem Kontrollorgan sichtlich auf den Magen geschlagen zu haben. Dass DAF Fahrzeuge herstellt, die aus solchen Gründen nicht voll einsatzfähig sind, kann man sich allerdings auch nicht so recht vorstellen. Wenn wohl über 1 Mrd. Euro in die Entwicklung gesteckt wird, dann läuft an so einer zentralen Frage garantiert nichts aus dem Ruder.


Wir sind diesem „Darf’s ein bisschen mehr sein“-Thema eigentlich schon vor einiger Zeit auf den Grund gegangen und hatten das längst geistig abgehakt. Da es insbesondere in letzter Zeit quer übers gelobte Land immer wieder hochkocht, hierzu die gültigen Hardfacts.


„Mit der Änderung der Richtlinie 96/53/EG durch die Richtlinie (EU) 2015/719 (Art. 9a) darf seit 01.09.2020 bei mit verlängerten Führerhäusern ausgestatteten Fahrzeugen der Klassen N2 und N3 und Fahrzeugkombinationen mit solchen Fahrzeugen die zulässige maximale Länge überschritten werden. Fahrzeuge mit verlängerten Führerhäusern und aerodynamische Luftleiteinrichtungen und Ausrüstungen müssen gemäß Anhang XIII VO (EU) 2021/535 typgenehmigt sein“, heißt es dazu in einem der Redaktion vorliegenden Schreiben des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.


Und weiters: „Eine Überschreitung der höchstzulässigen Längen darf nicht zu einem größeren Ladevermögen dieser Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen führen, was im Typgenehmigungsverfahren festgestellt wird. Fahrzeuge mit verlängertem Führerhaus müssen unterhalb oder seitlich der obligatorischen Angaben auf dem vorgeschriebenen Fabrikschild, außerhalb des deutlich gekennzeichneten Rechtecks, in dem sich ausschließlich die obligatorischen Angaben befinden dürfen, folgendes zusätzliches Symbol aufweisen:


ENTSPRICHT ARTIKEL 9A 96/53/EG, womit dann für alle klargestellt ist, dass es schlichtweg in Ordnung ist – so wie es ist. Bei typgenehmigten Fahrzeugen, die diese Kennzeichnungen aufweisen, ist daher seitens der Kontrollorgane davon auszugehen, dass die entsprechenden Vorschriften erfüllt sind. Die Länge der Ladefläche eines Fahrzeuges der Klasse N2 oder N3 mit verlängertem Führerhaus darf aber höchstens 10,5 m betragen.


Weiterhin gilt es noch zu beachten, dass aerodynamische Luftleiteinrichtungen und Ausrüstungen gemäß Richtlinie 96/53/EG in ihrer durch die VO (EU) 2019/1892 geänderten Fassung bei der Bestimmung der Länge und Breite von Fahrzeugen der Klassen M2, M3, N2, N3, O3 und O4 unberücksichtigt bleiben. Die Luftleiteinrichtungen dürfen auf jeder Seite des Fahrzeugs nicht mehr als 25 mm herausragen und die Gesamtbreite des Fahrzeugs einschließlich der Luftleiteinrichtungen darf 2.600 mm nicht überschreiten (inklusive eines etwaigen klimatisierten Aufbaus mit isolierten Wänden). Aerodynamische Luftleiteinrichtungen und Ausrüstungen müssen gemäß Anhang XIII VO (EU) 2021/535 typgenehmigt sein.


Das Ministerium teilte bereits im August 2022 weiterhin allen Landeshauptleuten, dem BMI und der ASFINAG mit : „Diese Bestimmungen wurden durch BGBl. I Nr. 9/2017 (34. KFG-Novelle) in nationales Recht umgesetzt. Demnach dürfen die in § 4 Abs. 6 Z 3 und Abs. 7a KFG festgelegten Werte für die größten Längen von Fahrzeugen oder Fahrzeugkombinationen für den Anbau von aerodynamischen Luftleiteinrichtungen oder bei Fahrzeugen mit verlängerten Führerhäusern überschritten werden.


Von unserer kurzfristig vermittelten Probefahrt blieben einige Punkte nachhaltig hängen: sensationelle Fahrbarkeit (Luftfederung an der VA und 4.000 mm Radstand), besonders weicher Eingriff des GPS-gestützten Tempomaten PCC Predictive Cruise Control, wie hartnäckig die Multi Torque-Einspritzung (bis zu 2.700 Nm max. Drehmoment bei 900–1.125 U/min-1) am Berg arbeitete, um das Letzte aus dem Motor rauszuholen und das Zurückschalten zu vermeiden, so lange es geht. In die gleiche Kerbe schlug man mit der mächtigen MX-Motorbremsvorrichtung. Für durchschnittliche Einsätze kann man den Retarder daher fast weglassen und damit etwas Geld, Gewicht und vermutlich nebenbei auch ein Quäntchen Treibstoff sparen. Aber das muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden. Das Eigengewicht des Fahrzeugs wurde in der Spezifikation des Demo-Poolfahrzeugs mit 8.484 kg angegeben. Für das innovative Spiegelersatzsystem durch Kameras und Monitore gilt es an dieser Stelle eine Lanze zu brechen. Daran wird man in Zukunft nicht vorbeikommen. Dass auch der Frontanfahrspiegel mit Eckkamera und zusätzlichem Monitor an der A-Säule ausgeführt ist – einfach top! Sensationell die Bildqualität und die klare, ruhige Darstellung, die hier eingespielt wurde. Die ausgezeichnete Soundanlage Infotainment Luxury Plus, die sogar Apple CarPlay-fähig ist und ein mehrfach elektrisch verstellbares Relax-Bett bleiben zu erwähnen. Da kann man echt nur sagen: Alle Achtung, die niederländischen Ingenieure haben hier richtig was auf die Räder gestellt.


Für uns ist dieser unglaublich tolle Zug ein Wegweiser in eine neue Ära und wir gehen davon aus, dass auch andere Hersteller den Pfad in Richtung dieser eigentlich nicht mehr ganz neuen Richtlinie einschlagen werden. Die CE-Fahrschulbücher mit einem a & b-Maß von max. 16,50 m und 18,75 m sind (mit einem kleinen Augenzwinkern in Richtung Exekutive) damit ebenfalls rechtswirksam passé. Wir empfehlen, dieses Heft künftig bei Fahrzeugen dieser Art mitzuführen und den Artikel dem Kontrollorgan ggf. vorzulegen.




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