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Kleider machen Bräute

Als eine Art Aschenputtel startete die neue Daimler-Variante Actros F bei ihrem Einstand. Zu „F plus“ gewandelt taugt sie nun geradewegs für jeden Laufsteg.


Mercedes-Benz Actros F plus

Mit goldenem Löffel im Mund erblickte der Actros F wahrlich nicht das Licht der Welt. Hatte ihn das Haus Daimler seinerzeit doch als „Actros für Einsteiger“ tituliert und ihm nicht viel Glanz mit auf den Weg gegeben.


Womöglich ist dem armen Tropf gerade noch erspart geblieben, auf Actros B wie „basic“ getauft zu werden. Stattdessen gab’s für den jüngsten Spross der Familie ein „F“ wie „funktional“ – womit dessen Licht aber nicht minder unter den Scheffel gestellt war.


Dabei konnte der Neue etwas, das all die vielen anderen Mitglieder der zahlreichen Familie nicht zustande brachten: Er schloss eine Lücke im Programm, die seit der Vorstellung im Jahr 2011 munter vor sich hin klaffte – kamen all die breiten Varianten der Kabine doch grundsätzlich mit ebenem Boden und somit hohem Einstieg daher, während jede der 2,30 m-Varianten des Actros-Fahrerhauses eben zwar einen kommoden Einstieg ihr Eigen nennen konnte, dies im Gegenzug aber mit einem mindestens 170 mm hohen Motortunnel zu erkaufen hatte.


So wäre vielleicht der Zusatz „M“ à la „Goldene Mitte“ ein hübscheres Kürzel für den Actros F geworden, der es doch schafft, genau zwischen diesen beiden Lagern eine nichts weniger als ebenfalls edelmetallhaltige Brücke zu bauen.


Denn bei ihm stößt der Fahrer auf einen knapp 20 cm niedrigeren Einstieg (dreistufig) als beim Streamspace-Actros mit ebenem Boden (vierstufig). Mit diesen drei Stufen und ihrer ausgeprägten Treppenform hat es im Übrigen eine ganz besondere Bewandtnis: Sie sind in Aluminium ausgeführt statt in Kunststoff wie für gewöhnlich beim Actros. Und zwar nicht deswegen, weil Daimler dem Actros F nun auch gleich noch Extrawürste brät. Sondern deshalb, weil sich die Produktion ihrer schnurstracks bei einer brasilianischen Variante bedienen kann.


Sie hinaufgehuscht, erblickt das Auge auch sofort, was das für den Fahrzeugboden zu bedeuten hat: In Kauf zu nehmen ist dafür eben der rund ein Dutzend Zentimeter hohe F-Motortunnel statt des ebenen Bodens, was aber nur geringe Einbußen in puncto umbauten Raums nach sich zieht. Liegt dessen Wert bei Streamspace mit ebenem Boden bei 8,3 m³, so steht ihm der Actros F mit 8,1 m³ Innenvolumen kaum nach. Zum Vergleich: Beim Streamspace-Actros in 2,3 m Breite fällt der umbaute Raum mit insgesamt nur 7,1 m³ doch glatt einen ganzen Kubikmeter geringer aus.


So kommt es, dass in diesem Actros F von Anfang an verborgene Talente geschlummert haben, die ihn zB für Linienverkehre mit Wechselbrücken geradezu prädestiniert machen. Klettern die dortigen Piloten vor allem beim Auf- und Abpritschen doch wahrlich oft genug raus und rein in die Kartoffeln, um diesen kommoden Einstieg des Actros auch gerade deshalb hoch zu schätzen, weil er kaum mit Verlusten beim Raumangebot gegenüber den etablierten großen Kabinen einhergeht.


Ungefähr 13 cm Motortunnel stören nun wirklich nicht groß bei einer Stehhöhe von 1,86 m vor Sitzen. Sie haben sogar ihr Gutes, gerade wenn häufiges Ein- und Aussteigen angesagt ist: Schmelzwasser zB schwappt nicht auf die Beifahrerseite hinüber. Und wer den Himmel partout noch höher haben möchte, der kann beim Actros F auch zur Bigspace-Variante mit 80 mm höherem Gehäuse greifen.


Damit hat sich’s aber auch schon mit den Kabinenvarianten beim Actros F plus. Gigaspace-Format gönnt ihm sein Elternhaus dann noch nicht.


Und auch beim Motor muss sich der Actros F etwas bescheiden: Der Big Block mit seinen 16 l Hubraum kommt für ihn allein schon deshalb nicht infrage, weil das Trumm einfach nicht unter das Fahrerhaus von nur 600 statt der sonst üblichen 765 mm Aufsetzhöhe (Distanz Kabinenboden-Rahmen) der breiten Kabinen passt. Und die neue, besonders effektive Geräuschdämmung der ehrwürdigen Brüder Actros L und Konsorten mit mehr Aufsetzhöhe muss sich der Newcomer F plus obendrein verkneifen.


Sonst aber darf der Youngster nahezu uneingeschränkt in die große Kiste an Bausteinen greifen, aus denen sich der Actros von heute ganz nach Gusto mehr oder weniger hochgestochen zusammensetzen lässt. Natürlich bleibt die etwas spartanische Grundausstattung aus den frühen Zeiten des Fahrzeugs eine Option: Die klassischen Spiegel statt des Mirrorcam-Systems – im F plus jetzt serienmäßig – erfreuen sich ja immer noch regen und mittlerweile wieder steigenden Zuspruchs.


Und auch die voll durchdigitalisierten Armaturen mit der nicht auf Anhieb durchschaubaren Bedienung sind nicht jedermanns Fall.


Doch wer sich für dieses sog. Interactive Multimedia Cockpit entscheidet, der bekommt auch gleich noch die elektronische Handbremse, Keyless Start und Truck-Navigation samt umfangreichem Sicherheitspaket mit auf den Weg.


Die Palette der Sicherheitssysteme umfasst dann serienmäßig auch neueste Finessen wie Active Brake Assist 5 oder automatisches Ab- und Aufblenden des Fernlichts und reicht bis hin zu all den Assistenten, die auf Dinge wie Spurhaltung, Aufmerksamkeit oder die Erkennung von Verkehrszeichen gemünzt sind.


Nur der Active Drive Assist (ADA) fehlt dem mit Multimedia-Cockpit bestellten Actros F plus in dieser Sammlung. Er ist in Verbindung mit der sog. Komfort-Lenksäule, die für einen besonders großen Verstellbereich des Volants steht, beim F plus nun einmal nicht zu haben – was aber mancher für besser so als andersrum ansehen wird.


Möglicherweise würde er dann aber doch statt der altehrwürdigen rein mechanischen Lenkung des Actros F lieber die elektrohydraulisch unterstützte Variante eingebaut sehen: Das gäbe ein weniger anstrengendes Kurbeln am Steuer, dessen Übersetzung bei den Motorwagen allerdings ohnehin schon indirekter ausgeführt ist als bei den Sattelzugmaschinen. Auf 22,2 bis 26, 2 lautet die Motorwagen-Übersetzung, während die Spanne bei den Sattelzugmaschinen von 17,0 bis 20,0 reicht – und somit auch weniger Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag bedeutet.


Der Grund fürs Fehlen von ADA sowie der Leichtgang-Lenkung ist jeweils ein und derselbe: Für die Mimik all der Komponenten, die sich vom Elektromotor über Schneckenradgetriebe oder Segmentwelle auf zehn Stück belaufen, fehlt beim Actros F der Platz.


Sonst aber bleibt auch das Lederlenkrad dem Actros F plus nicht länger verwehrt, ist jedoch genauso aufpreispflichtig wie eben das digitale Cockpit mit farbenfrohem Primär- und Sekundärdisplay.


Was nun der Actros F plus in puncto Lenkung an Komfort vermissen lässt, das macht er auf der Bahn durch zweierlei gründlich wett. Zu nennen wäre zum einen die renovierte Schaltung, jetzt auf Powershift Advanced getauft: Deutlich zügiger als zuvor geht sie beim Hangeln zwischen den Gängen zu Werke und wechselt die Schaltstufen nicht nur fix, sondern auch mit bisher nicht gekannter Eleganz.


Erst recht hervorzuheben wäre zum anderen das äußerst sanfte Wesen des dreiachsigen und vollluftgefederten Langchassis. Bei Zweimann-Besatzung lässt sich es in diesem dreiachsigen Motorwagen hintendrin schlummern wie in Abrahams Schoß, während ein ähnliches Unterfangen im 4x2-Sattelzug fast immer auf eine Tortur hinausläuft – selbst wenn dieser ebenfalls vollluftgefedert ist.


Geboten ist beim Actros F plus im Schlafabteil serienmäßig die bekannte siebenzonige Kaltschaum-Matratze. Ihre typischen Kennzeichen sind durchgängig 735 mm Breite (bei 2.130 mm Länge) und 110 mm Stärke. Optional liefert das Werk auch die aufwändiger ausgeführte Variante Premiumcomfort, und zwar für unten wie für oben. Was im Parterre immer mit von der Partie ist: ein bis 45° aufstellbares Rückenteil.


Damit der Sitz im Bedarfsfall maximal nach hinten rücken kann, lässt sich die Matratze an die Rückwand klappen, ist dort dann allerdings nur etwas umständlich per sog. T-Straps ein- und auszuhängen.


Fürs Gestühl im Actros F plus gilt: Serienmäßig liefert das Werk ihn mit dem sog. Komfort-Schwingsitz. Optional fährt der F plus aber auch mit dem Klima-Schwingsitz vor und kann auch mit Massagefunktion in der Lehne dienen.


Womit das Register der Finessen, die der Aufgehübschte jetzt ziehen kann, aber bei weitem noch nicht erschöpft ist. Das Spektrum beginnt beim um 40 mm abgesenkten Sitzkasten, setzt sich zwei Stock höher beim wahlweise lieferbaren einteiligen Sonnenrollo fort und hört bei der Option auf LED-Hauptscheinwerfer noch lange nicht auf.


Zum ganzen Glück fehlen drinnen derzeit nur noch die momentan nicht lieferbare induktive Ladeschale und draußen die Volllackierung, die nicht ab Verkaufsstart im April erhältlich ist, sondern erst ab Juni dieses Jahres.


So tritt die Ausführung Actros F plus keineswegs mehr als Aschenputtel an, das Linsen zu lesen hätte, sondern tanzt an in stattlichen Gewändern ganz eigener Art, bei denen schon mal der Überblick verloren gehen kann.


Ein Happy End nimmt die Geschichte auch in dieser Hinsicht dann aber allemal, denn im Portfolio fehlt die interaktive Bedienungsanleitung zu guter Letzt mitnichten.


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