Ein Ende dieser EU ist nicht ausgeschlossen. Folgen für den Transport.
Immer neue Direktiven, immer neue Regulierungen: Längst haben wir uns daran gewöhnt, unsere Lebens- und Wirtschaftsweise maßgeblich von Brüssel bestimmen zu lassen. Solche Harmonisierungen sind im Prinzip vorteilhaft, solange sie einen starken, effizienten Wirtschaftsraum begünstigen. Manche Versprechen wurden nicht eingehalten, etwa die Freizügigkeit in den sinnvollen Bereichen. Die Warteschlangen an den Grenzen wurden für Lastfahrzeuge wieder deutlich länger – hinzu kommen Fahrverbote und Ruhezeiten, Arbeitsschutz und Klimaziele. Auch konnte die EU keine Kriege in Europa verhindern. Allgemein wird vom ewigen Fortbestand der Europäischen Union ausgegangen, dabei ist der keineswegs sicher.
Was würde ein Ende der EU für die Transportwirtschaft bedeuten? Zunächst: Die möglichen Zukunftsentwicklungen der EU zu skizzieren, bedeutet keine Wertung. Falls das kontinentale Integrationsprojekt scheitern sollte, dann folgen jahrzehntelang Schuldzuweisungen, und diese beginnen bereits. Denn wenn über die EU-Strukturen diskutiert wird, verschwimmen immer wieder die Begriffe, nicht ohne Absicht. Die EU ist keineswegs identisch mit Europa, und die EU-Verwaltung ist nicht die europäische Staatengemeinschaft. Wer den überschießenden Regulierungswahn des Brüsseler Selbstbeschäftigungsbetriebs mit etwa 50.000 Beamten oder auch das feudalistische Gehabe bestimmter Spitzenpolitiker kritisiert, ist nicht automatisch Antieuropäer, sondern hat vielleicht einen anderen, vielleicht einen obrigkeitsskeptischen Zugang zur großen europäischen Familie.

Eine der brisanten Fragen ist dabei, ob eine nationale Perspektive die Loyalität zu Europa ausschließt oder nicht. So behauptet etwa die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ (2/2025): „Herbert Kickl verachtet die europäische Gemeinschaft. Die FPÖ ist damit nicht nur eine Gefahr für die liberale Demokratie in Österreich, sondern den Zusammenhalt der EU.“ Man muss kein Kickl-Anhänger sein, um der von ihm unterzeichneten, von anderen Politikern heftigst kritisierten „Wiener Erklärung“ das genaue Gegenteil entnehmen zu können, nämlich einen erklärten Respekt gegenüber den Völkern Europas, der sich aus einem unüblich gewordenen, nämlich patriotischen Verhältnis zum eigenen Land speist. So prallen grundverschiedene Ansichten aufeinander, und in dieser strikten Weigerung, die jeweils andere Perspektive zu reflektieren, liegt eines der Grundprobleme der EU.
Mit dem sich ankündigenden Regierungswechsel geschieht etwas in Österreich, was in einigen anderen EU-Mitgliedstaaten bereits in die politische Normalität übergetreten ist, nämlich die Zulassung rechter Parteien zur Regierungsverantwortung. Es gibt (wie allen politischen Richtungen gegenüber) gute Gründe, das nicht zu mögen. Aber es ist nur schwer als demokratisch auszugeben, wenn man es durch Willkür verhindert. „Die Zeit“ liegt richtig, wenn sie den Zusammenhalt der EU in Gefahr sieht, aber der Aufstieg der FPÖ und ähnlicher Parteien ist weniger Ursache und mehr Symptom einer nicht eben positiven Entwicklung der EU in den vergangenen Jahren. Die Gründe liegen woanders und sind bekannt.
Die wesentlichen Ämter und Institutionen der EU werden durch Ernennungen und Absprachen besetzt und haben keine demokratische Legitimation. Nicht einmal Spitzenkandidaten haben bei einem Wahlsieg sichere Aussicht auf ihr Amt. Zugleich aber stehen EU-Verordnungen – die neuerdings „EU-Gesetze“ genannt werden, obwohl sie keine sind – über nationalem Recht. Die neueste Unverständlichkeit ist das drohende Verbot von Baumwollkleidung, weil Baumwolle nicht kreislauffähig ist. Wir sollen stattdessen Kleidung aus Kunststoffen tragen. Das mag sinnvoll sein, auch wenn das angesichts der Diskussionen um Mikroplastik und Phtalate (Weichmacher für Kunststoffe) unwahrscheinlich ist, aber es findet darüber keine öffentliche Debatte statt, ebenso wenig wie über die Modalitäten der Impfstoffbeschaffung durch die Kommissionspräsidentin, über Energiepolitik und vieles mehr. Diese Verfahrensweise hat viele Menschen, Europäer aus tiefem Herzen, von der EU entfremdet.
Daneben werden die zum guten Teil durch die EU verursachten wirtschaftlichen Probleme nicht gelöst, sondern vertagt und damit vergrößert. Der Euro-Dollar-Wechselkurs ist im Sinkflug und nähert sich der Parität. Drohende Handelskonflikte mit den USA und China werden zusätzlich zu den Sanktionen gegen Russland für erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten sorgen. Seit 2008 eiert die Staatengemeinschaft von einer Krise zur nächsten, stets werden neue Rettungsschirme, Maßnahmen und Regeln aufgetürmt. Wir haben keine stabile Währung, die Staatshaushalte gehen immer tiefer in die roten Zahlen, zugleich aber werden laufend neue Milliardensummen für ideologische Projekte ausgegeben. Wir haben keine glaubwürdige Sicherheitsarchitektur, keine tragfähigen Antworten auf die Migrationskrise und keine starke Stimme in der Welt. Wirtschaftlich ist die EU auf dem absteigenden Ast, die Energieversorgung ist gefährdet, das Verhältnis zu drei Großmächten zerrüttet, die Außenpolitik eine Farce. Frankreich steht vor einer Finanzkrise, und falls sie abgewendet werden kann, steht gleich woanders die nächste bereit. Dazu möchte man die Ukraine in die EU aufnehmen, was sich – von moralischen Aspekten abgesehen – finanziell als sicherer Sargnagel herausstellen wird.
Hinzu kommt die Deindustrialisierung Deutschlands, der größten europäischen Wirtschaftsmacht und des größten EU-Nettozahlers, die bereits in vollem Gange ist. Inzwischen wandern sogar Betriebe aus Deutschland in die Schweiz aus, wo eine Pizza Margherita 18 Euro kostet. Die Arbeitslosigkeit erreicht mit bald 3 Mio. den höchsten Stand seit zehn Jahren. Auch in anderen Staaten schrumpft die Wirtschaftsleistung, nicht zuletzt in Österreich. Die EU wird über kurz oder lang auf einen drastischen Sparkurs einschwenken müssen, es gibt also weniger Geld für die Staaten, die etwas bekommen. Jene, die ihre EU-Mitgliedschaft vor allem als Geldquelle verstehen, werden sich konsequenterweise fragen, wozu sie in der EU bleiben sollen. Die Auflösungstendenzen in der Europäischen Gemeinschaft sind nicht zu leugnen, darüber hinaus gab es schon immer unterschiedliche Zugänge der EU-Staaten zu den USA. Italien kann sich dort besser positionieren als etwa Deutschland, Frankreich tritt international viel selbstbewusster auf als sein Nachbarland. Dies wird auch weiterhin zu außenpolitischem Ungleichgewicht innerhalb der EU führen.
Ein Ende der EU in ihrer bisherigen Form hätte zweifellos manche positive Aspekte, es käme aber trotzdem einer Katastrophe gleich: Zahllose Kompetenzen wurden auf diese Ebene verlagert, die Staaten müssten zunächst ihre Grundfunktionen wiederherstellen: Energieversorgung, Rechtsordnung, Grenzschutz, Geldwesen und einiges mehr. Noch wesentlicher wirken sich die großen Weichenstellungen der vergangenen Jahre aus, beispielsweise das Verbrenner-Verbot, die Klima- und die Migrationspolitik, Gleichstellungs- und Verbraucherschutzgesetze, wo internationale Abmachungen durch die EU vollzogen wurden und kleinere wie größere Unternehmen Entscheidungen für die kommenden Jahrzehnte getroffen haben.
Auch jetzt schon, mit der EU, steht die Transportwirtschaft vor immensen Herausforderungen, man denke nur an den Fahrermangel, der sich in einer Post-EU-Situation dramatisch verschärften würde. Weitere aktuelle Herausforderungen liegen unabhängig von der Zukunft der EU in der Digitalisierung, der Künstlichen Intelligenz und der zunehmenden Elektromobilität – ganz zu schweigen von den dafür benötigten Mengen an Energie. Allein schon die Notwendigkeit, sich bei solchen Themen international abzustimmen, legt für den Fall eines EU-Rückbaus die Vereinbarung von künftigen Regelungen nahe. Das zeigt auch deutlich: Jenseits von Unbehagen und Kritik ist eine überstaatliche Koordinierung bestimmter Bereiche in Europa unverzichtbar.
Trotzdem besteht für die EU jetzigen Zuschnitts eine realistische Möglichkeit des Scheiterns. Nach einem unsicheren und chaotischen Übergang würden sich wieder Strukturen einer nachbarlichen Staatengemeinschaft bilden, die sich alsbald auf die Beibehaltung bewährter EU-Elemente verständigen würde, etwa gemeinsame Normen, gemeinsame Patente, ein synchronisiertes gemeinsames Stromnetz oder EUROPOL. Wegfallen würde mit Sicherheit der gesamte EU-reglementierte Klimaschutz zusammen mit dem von einer einzelnen Person einseitig verkündeten „Green Deal“. Denn wenn die Kassen leer sind, wird man sich den „Schutz“ des Weltklimas, das sich ohnehin einer technischen Steuerung entzieht, nicht mehr so viel kosten lassen, wie man heute denkt. Das zeigt sich bereits an den ersten Vereinbarungen in den Sondierungsgesprächen der österreichischen Regierungsanwärter: Sie wollen allein 2025 schon 6,3 Mrd. Euro einsparen – hauptsächlich bei den Subventionen und beim Klimabonus, aber auch über 1 Mrd. in den Ministerien. Wegfallen bzw. schrumpfen würde außerdem der seit einigen Jahren überbordende bürokratische Aufwand in nahezu allen Wirtschaftsbereichen, beispielhaft sei nur das Lieferkettengesetz genannt, das uns gleichwohl – wie anderes auch – erhalten bleiben wird.
Ein Ende der EU in ihrer jetzigen Form könnte jedoch auch durch eine Verkleinerung der Gemeinschaft eintreten, weil der Austritt einzelner Staaten wesentlich wahrscheinlicher ist als der Zusammenbruch des Gesamtprojekts. In diesem Fall würde eine Kern-EU übrigbleiben, die sich mehr oder weniger am jetzigen Zustand orientieren, aber auch leichter reformiert werden könnte. In ihrer Nachbarschaft würden sich Staaten befinden, die zwar nicht mehr Mitglieder sind, sich aber kooperativ annähern können, wie dies schon jetzt bei Staaten wie der Schweiz oder Liechtenstein der Fall ist. In diesem Szenario würde kein chaotischer Übergang folgen, sondern eine auf bestimmte Bereiche begrenzte Veränderung der Rahmenbedingungen.
Als hemmend für die Transportwirtschaft würde sich wahrscheinlich der Wegfall der Freizügigkeit zeigen, einerseits unmittelbar auf dem Transportweg, andererseits in Bezug auf die Mitarbeiter, von denen ein großer Teil aus Osteuropa stammt. Fällt der Binnenmarkt weg, wird auch wieder an jedem Grenzübergang ein Zollbüro stehen, was den bürokratischen Aufwand in diesem Bereich wiederum erhöht. Rechnet man mit einem Anstieg illegaler Wareneinfuhren, dann wird man auch von deutlich mehr Kontrollen der Fahrzeuge ausgehen müssen. Die Herausforderung dieser Zeit liegt wahrscheinlich im internationalen grenzüberschreitenden Ferntransport, während regional tätige Unternehmen günstigere Arbeitsbedingungen finden dürften.
Nicht nur ein tatsächliches Ende oder eine Verkleinerung der EU würde zu weitreichenden Veränderungen unserer inzwischen sehr regelbasierten Lebenswirklichkeit führen, sondern auch schon die Bestrebungen zu ihrer Reform und zum Rückbau ihres Apparats. Den geschmähten rechten Parteien in den Regierungen einiger Mitgliedsländer geht es in der Europapolitik vor allem darum, bestimmte Kompetenzen wieder in den eigenen Staat zurückzuholen. Im Verkehrswesen würde sich das wohl in mehr Vielfalt bei den Antriebstechniken und an der Tankstelle zeigen, in einem Rückgang der ideologisch induzierten Förderungen und der Umverteilung. Ob das die Lage der Unternehmen einfacher macht, wird sich zeigen.
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