Seit dem Generationswechsel bei DAF spielt der neue XF gewissermaßen nur noch die zweite Geige. Feiert dabei aber zugleich munter eine Art zweiten Frühling.
Jahre hatte der Vorgänger genug auf dem Buckel, um bei der Vorstellung der neuen Reihe im Sommer 2021 würdevoll abzutreten. Exakt 34 Jahre lang fungierte er als das Flaggschiff der Holländer.
Angefangen hatte alles anno 1987 mit dem DAF 95, der im Lauf der Zeit ein halbes Dutzend größere Modellpflegen absolvierte, seit 2012 nur noch das „XF“ im Namen führte – und sich nun keineswegs aufs Altenteil begab: Nein, anno 2021stand plötzlich ein ganz neuer DAF XF da, wenn auch gewissermaßen plötzlich in der zweiten Reihe. In Gestalt von XG und XG+ hatten sich zwei im wahrsten Sinn des Wortes große Kaliber ins Rampenlicht geschoben, die schon etwas Schatten auf den XF warfen. Der seine Rolle zugleich auch ziemlich anders als zuvor definiert sah.
Nun plötzlich quasi Juniorpartner lautete das Stück, das DAF ihm auf den Leib geschrieben hatte. Will sagen: Prunk und Pracht finden anderweitig statt. Der XF ist nun das, was gemeinhin „Arbeitstier“ heißt.
Gefragt ist da ein unkompliziertes Wesen von praktischer Natur, das sich für nichts zu schade ist. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Testkandidat ausgerechnet als Abroll-Kipper vorfährt: Lkw dieses Schlags kurven mal um den Kirchturm, bekommen es mit Baustellenterrain ebenso zu tun wie mit Fernverkehrspflaster – und sollten auch tunlichst mit einem komfortablen Einstieg dienen können. Springt dabei auch noch eine große Portion an umbautem Raum innendrin in der guten Stube raus, dann umso besser.
Und genau das ist der Fall bei unserem DAF FX mit dem High-Sleeper-Fahrerhaus: Einstiegshöhe mit Bereifung 385/65 R 22,5 auf der Vorderachse zum Beispiel nur 1.450 Millimeter: Mit Schlappen der Größe 315/70 R 22,6 wären das sogar noch zwei bis drei Zentimeter weniger. Und: Schön treppenförmig und oben mit großem Versatz zur Türschwelle kommt der Einstieg beim neuen XF daher.
Vorbei also die Zeiten, da der Fuß (vor allem beim Aussteigen) erst einmal zu stochern hatte, bevor sicherer Tritt auf der obersten Stufe gefasst war.
Und auch die vier Wände, die das Auge nach Absolvieren dieser leichten Kletterübung erblickt, ist beileibe kein Allerweltsgehäuse. Denn in ihm steckt doch einiges von dem, was auch die großen XG so besonders macht: Da wäre zum Beispiel der neue, 16 Zentimeter in der Länge messende Vorbau, den der XF mit seinen großen Brüdern teilt und der nicht nur für außergewöhnliche aerodynamische Qualitäten steht. Ist er doch innendrin auch mit neuen Crash-Elementen bestückt, die im Falle eines Falles allerhand wegstecken.
Und spielt diese Fassade mit einer tief herabgezogenen Brüstung so geschickt zusammen, dass daraus ein außergewöhnlich gutes Sichtfeld nach draußen resultiert. Erst recht gilt dies für die im Testwagen verbaute Variante „Vision Dashboard“, die sich besonders tief duckt und somit noch eine Extraportion an Sicht nach vorn freigibt. Überhaupt hat unser XG geradezu die Spendierhosen an, was die Fenster angeht: Da gibt es sowohl eines in der Beifahrertür, das direkte Sicht aufs Geschehen vor der rechten Flanke ermöglicht. Und ein weiteres in der Rückwand (bei den XG erst gar nicht zu haben), das den Blick in den Hinterhof der Kabine freigibt.
Der beginnt 330 Millimeter weiter vorn als bei den großen XG. Misst die XF-Kabine doch nur 2.360 Millimeter in der Länge und kommt somit keineswegs aufs Gardemaß von 2.690 Millimeter, mit dem die XG glänzen. Was wiederum bedeutet, dass für den gewöhnlichen Eurosattel 3,80 Meter Radstand reichen. Zum Vergleich: Bei den XG sind 4.000 Millimeter Radstand fällig.
2.360 Millimeter Kabinenlänge, hoppla: Das sind zwar 110 Millimeter mehr als beim alten XF. Doch jene 160 zusätzlichen Millimeter für den neuen Vorbau damit verrechnet: Rutscht der neue XF da im direkten Vergleich bei der Innenlänge etwa ins Minus? Der Messwert für die Distanz Frontscheibe Rückwand zumindest bestätigt den Verdacht nicht: Überflügelt der neue XF den alten bei diesem Maß doch glatt um ungefähr 20 Millimeter. Und ein Blick auf den Verstellbereich des Fahrersitzes in der Länge geworfen, fällt der mit insgesamt 240 Millimeter sogar rund 50 Millimeter weiter aus als beim Vorgänger.
Was allerdings auch nur die halbe Wahrheit insofern ist, als dass beim neuen XF die Liege in ihrer Breite schon etwas gestutzt ist: Hinterm Sitz erreicht sie nur noch eine Breite von 600 Millimetern, während der Vorgänger auf 676 Millimeter kam.
Was die nutzbare Grundfläche angeht, dürfte die Partie also patt ausgehen zwischen den beiden XF-Generationen. Beim umbauten Raum aber zieht der Neue gegenüber dem alten XF zumindest dann den Kürzeren, wenn der Vergleich zwischen dem alten Super Space Cab und der neuen High Sleeper Cab stattfindet. Das eher moderate Hochdach des neuen XF (das er mit dem XG teilt) sowie die sich nach vorn stark verjüngende Kabinenform machen’s, dass der neue XF mit seinen 1,96 Millimeter Stehhöhe vor den Sitzen auf insgesamt knapp 8,6 Kubikmeter umbauten Raum kommt. Zum Vergleich: Bei der alten Super Space Cab waren es immerhin 9,3 Kubikmeter. Dort belief sich die Innenhöhe vor Sitz aber auch auf stolze 2.230 Millimeter.
Doch sind solche Flaggschiffwerte nun gar nicht mehr die Referenz, an der sich ein XF von heute zu messen lassen hätte. Die richtigen Kandidaten wären eher in jener Ecke zu finden, in denen sich Lkw vom Schlag eines Scania R, Actros F plus oder Volvo FH Globetrotter tummeln. Und da gilt: Ihnen hat der neue XF beim Innenraumvolumen allemal 0,5 bis 0,2 Kubikmeter voraus.
Einstieg also niedrig und kommod, Kabinenvolumen für die Fahrzeugklasse großzügig: Geht’s also innendrin und beim Fahren so gut weiter, wie es in diesen Kategorien angefangen hat? „Im Prinzip ja“, würde Radio Eriwan sagen, um dann doch schnell das eine oder andere „Aber“ anzuführen.
Was den Stauraum angeht, gilt für den neuen XF: Den Vorteil beim Innenvolumen in besonders viel Bunker umzumünzen, das gelingt dem neuen XF nicht. Mit insgesamt knapp 780 Liter liegt er ungefähr gleichauf mit seinen oben genannten Kombattanten, von denen so mancher als zusätzlichen Trumpf noch ein extra Rückwandmodul hinblättern kann. Das ist dem XF nicht vergönnt (auch nicht den DAF XG).
Und so radikal DAF sich als bislang einziger Hersteller die neuen europäischen Vorschriften beim Exterieur zu eigen gemacht hat, so bleiben die Holländer beim Layout der Innenarchitektur vielleicht doch einen Tick zu viel dem XF-Altbewährten treu: Die Rede ist vom bauchigen Mittelteil des Armaturenträgers, der im Parterre, also just oberhalb des 170 Millimeter hohen Motortunnels, mit einer noch weiter ausragenden Schale bestückt ist.
Dort sitzen auch zwei Flaschenhalter (samt integrierten Steckfächern für Plastikkarten) und findet allerhand Krimskrams locker Platz. Von einer Schublade ist in diesem Bereich aber keine Spur zu finden und ist der XF generell nicht besonders mit anderen offenen Ablagen um den Fahrer herum gesegnet: Oben auf den Armaturen, wenn auch schon gehöriger Entfernung, gibt es noch eine große horizontale Plattform-Ablage, dann wird es aber auch schon mau: Ins Türfach etwa passen allenfalls 0,5-Liter-Flaschen, kleine Ablagen um den Fahrer herum sind Mangelware.
Zur Ehrenrettung des XF sei aber auch gesagt: In Gestalt einer induktiven Ladeschale (mittig und halbhoch im Armaturenträger integriert) birgt er in seinem Inneren ein pfiffiges Kleinod. Und natürlich ist der ebenfalls mittig beheimate Ausziehtisch weiterhin mit von der Partie, ohne den ein DAF überhaupt kein DAF wäre. Sonst aber handelt es sich beim neuen XF, was die Finesse angeht, von der Anmutung der Materialien bis hin zur etwas groben Handschrift bei gestalterischen Details um einen eher nüchtern aufgestellten Gesellen. Was auch daran abzulesen ist, dass DAF ihn weder mit integrierter Standklimaanlage noch mit aufstellbarem Kopfteil beim Bett – und schon gar keine großen Lichtspiele in der Art von Designbeleuchtung liefert.
Sorgfalt ließen die Holländer an anderer Stelle durchaus walten. Zu nennen wäre zum Beispiel die Lenkradverstellung: Topwerte erreicht der XF beim Auszug in der Länge. Und auch beim Neigungspektrum des Volants spielt das Fahrzeug in der Oberliga. Was zum ganzen Glück noch fehlt und somit zum Beispiel eine automatische Spurrückführung zu einem Ding der Unmöglichkeit macht, das ist die elektrische Lenkungsunterstützung.
Wobei sich in der Praxis aber zeigt, dass die Abstimmung der Lenkung ansonsten eine äußerst gelungene ist: Weder auf engen Landstraßen noch beim Rangieren ist sonderlich Armschmalz gefordert. Und auf der Bahn bringt der XF diese Leichtgängigkeit sehr schön mit der von DAF gewohnten hohen Präzision unter einen Hut.
Ein Kompliment ist auch der Bedienung zu machen: Die Mimik hält gekonnt, wenn auch weniger elegant als im MAN, die Balance zwischen Digitalisiertem und Traditionellem. Insgesamt steht das Ensemble wie der gesamte Innenraum im Zeichen einer gewissen Nüchternheit, die sich in Dingen wie etwas klobigen, aber sehr gut zu bedienenden Lenkstockhebeln äußert. Das Primärdisplay beschränkt sich im Wesentlichen auf den simplen, aber wirkungsvollen Schwarzweiß-Kontrast. Moderat Lauf gelassen ist der Farbenfreude aber immerhin dadurch, dass bei Tacho wie Drehzahlmesser der erreichte Wert von Null an bläulich schimmernd in der Skalierung hinterlegt aufscheint. Ansonsten gilt, dass die ins Eckige gezogene Kontur der sonst so gern als Rundinstrumente ausgeführten Anzeigen für Geschwindigkeit und Drehzahl etwas gewöhnungsbedürftig ist. Zeiger wie Feinskalierung weisen zudem einen sehr zarten, pastellartigen Pinselstrich auf.
Mal zart, mal eher hemdsärmlig: Diese Spannweite findet der Fahrer nicht nur beim Interieur des neuen XF, sondern auch beim Benehmen der Automatik vor. Zur Wahl stehen beim Test-XF die Modi Eco Drive sowie Eco Off, zwischen denen sich per Druckschalter am Kopf des rechten Lenkstockhebels rochieren lässt. Eco bedeutet in erster Linie einen sanften Drehmomentaufbau und etwas verhaltenes Agieren in puncto Zieldrehzahl beim Gangwechsel. Sie liegt in Eco durchschnittlich ungefähr 100 Touren unterhalb des Niveaus von Eco Off.
Nun hat es aber mit Eco Off eine besondere Bewandtnis: Ab Werk ist die maximale Verweildauer dieses Modus auf maximal eine Minute eingestellt. Was nichts anderes heißt, als dass die Freunde zügiger Fortbewegung sich alsbald wieder auf den weniger spritzigen Eco-Modus zurückgeworfen sehen. Abhilfe aber schafft die zugleich vorhandene Möglichkeit, diese Maximaldauer per Parametrierung in der Werkstatt kräftig zu strecken. Die Spanne reicht bis hin zu 4,5 Stunden – was also einer kompletten Lenkzeit entspricht.
Wer die sachte Kraftentfaltung des Eco-Modus gewöhnt ist und in Eco Off wechselt, muss bei Pedalfahrt zudem ins Kalkül ziehen: Da die Automatik jetzt viel stärker auf die Pedalbewegung reagiert als bei den Vorgängern der Modellgeneration 2017, führt der gleiche unbekümmerte Tritt aufs Gas wie im Eco-Modus dann in Eco Off nun gern auch mal zu einer gewissen Überraschung. DAF-untypisch bekommt die Fuhre dann etwa beim Anfahren geradezu südländisches Temperament.
Generell glänzt die revidierte Automatik, die nun auch mit Manövriermodus sowie Freischaukelfunktion aufwarten kann, mit einem lebhafteren Wesen denn zuvor. Orgeln im Drehzahlkeller ist ihr Ding jetzt jedenfalls nicht mehr. Obwohl das maximale Drehmoment des 13-Liter-Motors bis hinab auf 900 Touren reicht und die Maschine solche Drehzahl auch unter Volllast mit keinerlei Murren quittiert, hält die Automatik selbst im Eco-Modus Fahrer wie Fuhre mit Schaltpunkten bei Laune, die in der Regel nicht unter 1.100 Touren liegen.
Was bei der traditionellen DAFschen Fixierung auf Sparsamkeit also nur bedeuten kann, dass die Überarbeitung des Triebstrangs unter Beibehaltung des aufwändigen variablen Turbos wohl auch dahingehend eine erfolgreiche Übung war, als dass eine gewisse Drehzahlunempfindlichkeit Einzug gehalten haben muss.
Andere Merkmale der neuen Automatikauslegung allerdings werden wohl weniger ungeteilten Beifall finden: Obwohl das Duo aus Motorbremse und Retarder die gewünschten 90 km/h im gleichen Gang locker halten würde, kommt es bei Talfahrt zu folgendem seltsamen Phänomen, zumindest beim kurz übersetzten Testzug mit 2,71er-Hinterachse: Er gondelt bei auf 90 km/h gesetztem Limiter einerseits die Berge unerklärlicherweise nur mit ungefähr 88 km/h im zwölften Gang hinab.
Um es zum anderen unten in der Senke hingegen kräftig laufen zu lassen: 93 km/h als sogenannten Dip erlaubt sich der XF da gern mal bei auf 90 km/h gesetztem Bremsomat. Hält die Zeitspanne aber natürlich in jenen Grenzen, die noch nicht zu einem Eintrag auf der Fahrerkarte führen.
Mal zart, mal hart: In seinem zweiten Frühling tritt der DAF XF also mit einem hormonalen Mix an, dem es an interessanten wie auch überraschenden Momenten nicht fehlt. Was ihn jetzt prägt, ist nicht mehr die hochtrabende Fernverkehrsattitüde, sondern eher der diskrete Charme des Allrounders.
Besonders schöne Augen wissen in dieser Richtung nun die Langchassis zu machen. Sie sind dem Erfolg der DAFschen Sattelzugmaschinen während der vergangenen Jahre ja immer ein wenig hinterhergehinkt. Breiten jetzt aber bei den Motorwagen mit einem Novum namens Plug and Play die Arme weit aus für eine unkomplizierte Liaison mit den Aufbauten: Vorparametrierte und mit zahlreichen Herstellern jeweils abgestimmte Schnittstellen machen das Knüpfen zarter Bande leicht.
Mal zart, mal smart: An den verschiedensten Facetten mangelt es der Art jedenfalls nicht, in welcher der neue XF nun eben strikt Kurs auf das Zweckmäßige nimmt.
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