top of page

Suche nach der Wahrheit


Test: VW Crafter 35. Er kann viel, sehr viel. Aber nicht alles.

Der Fahrer des silbergrauen Transporters auf der Nachbarspur wirft einen neugierigen Blick herüber. Er sitzt in einem Mercedes Sprinter, bisher unangefochtener Bestseller dieser Klasse und Gen-Lieferant des abgelösten VW Crafter. Hier aber fährt derjenige, der den Sprinter am liebsten mit einem herzhaften Knuff ins Altenteil verdrängen würde. Der neue VW Crafter springt mit einem mächtigen Satz vom Sprinter-Derivat zum rundum neuen VW-Original. Die Wahrheit liegt auf dem Platz, sagt eine alte Fußballerweisheit. Hier liegt sie vor allem auf der Straße.

VW Crafter 35 Fahrtest

Der Anblick ist neu, aber typisch VW: Der Crafter fährt zeitlos-gefällig und gekonnt gestaltet vor.

Dort hinterlässt der Transporter auf Anhieb einen sympathischen Eindruck. 3,5-Tonner sind optisch keine Aufreger, VW sowieso nicht. Aber wer das Spiel der Linien verfolgt, der erkennt, warum der VW stimmig und in sich geschlossen wirkt. Jede Linie oder Sicke findet ihre Fortsetzung, das fließt und ergänzt sich, führt zur markentypischen zeitlosen Gefälligkeit. Auch ein VW Crafter wird deshalb nicht altern, sondern reifen. Seitlich geschützt von breiten Stoßleisten, vorn geschmückt von einer kessen Chromspange.

Zäumen wir den Crafter zunächst von hinten auf, denn bei einem Transporter liegt die Wahrheit zum guten Teil im Laderaum. Die scheunentorgroße Schiebetür verriegelt geöffnet narrensicher; beim Schließen verlangt sie etwas Kraft. Die Heckflügeltüren des Testwagens öffnen 270° – rechts nicht ganz so weit, das vermeidet Kollisionen mit der Schiebetür. Der Boden liegt 570 mm über der Fahrbahn – Vorteil Frontantrieb. Leuchtendgelbe Haltegriffe helfen beim Entern des Frachtraums. Drinnen empfängt LED-Flutlicht Fahrer und Fracht, unten warten zehn stabile Zurrösen.

VW Crafter 35 Ladefläche

Die Ladekante liegt dank Frontantrieb niedriger als bisher. Helle LED-Leuchten an der Decke.

Genau hinschauen heißt es bei den Laderaummaßen des Crafter: Nach hinten senkt sich sein Dach aus aerodynamischen Gründen um 10 cm ab. Die Tropfenform reduziert 1.961 mm Innenhöhe schleichend auf 1.861 mm. Doch keine Bange – das Heckportal ist bis auf wenige Millimeter so groß wie zuvor. Ähnliches gilt für den breiten Fischbauch: Der Crafter dehnt sich in Wagenmitte bis auf 2.040 mm Außenbreite, macht drinnen 5 cm mehr als früher, doch nicht überall. Oben gibt es wegen steiler Wände mehr Schulterbreite für Regale und Kisten, unten einige Zentimeter mehr zwischen den Radkästen. Die in den Daten versprochene Ladelänge von 3.450 mm erreicht der Crafter jedoch nur auf Bodenhöhe, denn dort ist die Trennwand in zwei Stufen nach vorne ausgebuchtet. Wer nicht gerade Teppichrollen befördert, muss sich mit 3.300 mm begnügen.

Auch die Waage zeigt gnadenlos die Wahrheit. 2.363 kg wiegt der Testwagen, das klingt für einen Fronttriebler nach Speck auf den Hüften. Doch gefehlt: Das vollwertige Reserverad, Anhängerkupplung sowie Klimaanlage, Holzboden im Laderaum und weitere Zutaten lassen das Gewicht um mehr als 200 kg über Normalnull ansteigen. Laut Konfigurator kommt der rund 6 m lange Kastenwagen mit Hochdach im Serientrimm inklusive Fahrer auf exakt 2.152 kg – passt. Und er verträgt Zuladung, das Fahrwerk geht selbst unter Volllast kaum in die Knie.

Weiter vorn im Cockpit fühlen sich VW-Fahrer sofort zuhause. Der Crafter präsentiert die Ritter-Sport-Variante eines Arbeitsplatzes – quadratisch, praktisch, gut. Zweifellos eine Schokoladenseite: Multifunktionslenkrad aus dem Golf, Instrumente und Display fein gezeichnet, Bedienungselemente vom versteckten Lichtschalter über die Klimaregelung bis zum Navi mit großem Bildschirm in gewohnter Form und an bekannten Positionen. Krönung der Funktionalität sind die Ablagen über, auf, im und unter der Armaturentafel sowie in den Türen und der üppigen Truhe des Doppelsitzes. Alles ergänzt durch eine Sammlung unterschiedlicher Steckdosen. Sämtliche Komponenten sind gekonnt verarbeitet. Nur bei sehr übler Fahrbahn rumort es ein wenig links und rechts oben im Gebälk. Ungefähr dort, wo sich Dachgalerie, A-Säulen und Türrahmen treffen.

VW-gewohnt passt ebenfalls die Sitzposition. Einschließlich Fußraum, er ist trotz McPherson-Federbeinachse weitläufig. Auf den teuren Schwingsitz kann der Käufer guten Gewissens verzichten. Dank der geradlinigen Armaturentafel finden auch zwei Beifahrer auf dem Doppelsitz genug Platz. Unpraktisch sind allenfalls die außenliegenden Kleiderhaken, vor allem in Kombination mit Armlehne.

VW Crafter 35 Innenraum

Grau, aber nicht gräulich: viel Platz, bequeme Sitze und jede Menge Ablagen im Cockpit

Erfolgreich hat sich VW um gute Sicht bemüht. Die Frontscheibe ragt hoch auf, die A-Säulen sind schlank, die Gehäuse der Außenspiegel so tief angesetzt, dass der Blick beim Abbiegen ungestört darüber hinweggleitet. Ein schräg montiertes Fenster in der Trennwand verhindert nachts lästige Spiegelungen in der Windschutzscheibe. Doch nicht alles ist perfekt. Nach vorne ist allenfalls die Hinterkante der Motorhaube zu sehen. Und aufgrund der bauchigen Karosserie kann der Fahrer in den Außenspiegeln die rückwärtigen Karosserieecken allenfalls erahnen. Die zusätzlichen Weitwinkelgläser sind starr. Hochgewachsenen Fahrern nützen sie daher nur als Rangierhilfe. Unter der Motorhaube steckt ein Triebwerk mit Überraschungen. Das Format des verstärkten Zweiliter-Turbodiesels ist bestens bekannt. Die mittlere Ausführung bringt es auf 140 PS Leistung und 340 Nm Drehmoment. Das allein sagt jedoch wenig – hier liegt die Wahrheit erneut auf der Straße. Dort zeigt der Motor einen prima Antritt, reagiert flink aufs Gas. Er arbeitet geschmeidig, klingt dabei etwas heiser und rauchig, bleibt jedoch recht dezent – bei hohem Tempo vernimmt der Fahrer mehr Windgeräusche ums Hochdach als Motorgebrumm. Antritt aus 1.000 Touren im zweiten oder gar dritten Gang? Kein Problem. Drehzahlorgien bis zum roten Bereich bei 4.000 Umdrehungen? Überflüssig, aber problemlos. In der Stadt heißt das Tempo 50, fünfter Gang und etwa 1.300 Touren. Und am Ortsende beschleunigt der gewichtige Crafter gelassen ohne jede Beschwerde.

Unterstützung erhält die Maschine von einem Sechsganggetriebe mit einer etwas hölzernen Schaltung und kurzen Wegen. Die Abstimmung ist perfekt: Der erste Gang ist knackig kurz fürs Anfahren beladen am Berg, der Sechste dreht mit 2.000 Touren bei Tempo 100 nicht zu lang. Deshalb passt er auch für die Landstraße und lässt dem Motor dort Reserven. So wuselt der Crafter vollbeladen behände durch die City, ackert sich steile Bergstraßen empor, saust schwungvoll im gestreckten Galopp über die Autobahn. Und erzielt dabei mit nur 9,4 l/100 km einen neuen Verbrauchsrekord für seine Klasse – nie lief ein beladener 3,5-Tonner sparsamer über die Hausstrecke der Redaktion. Im Stadtverkehr kommt der Crafter mit kaum mehr als 7,0 l/100 km aus. Er begnügt sich auf anspruchsvoller Land- und Bundesstraße mit gut 9 l – Hut ab. Auf der Autobahn schließlich schluckt der Crafter zwischen etwa 9 und 14 l – die Spanne zwischen gelassenem Dahinschlendern und der Hatz mit schwerem Gasfuß auf freier Piste im Nachbarland. Vollbeladen, wohlgemerkt. Unter halber Last und mit weniger Eile liegt dies alles einen Liter niedriger, leer nochmals günstiger. Bei Transportern findet sich die Wahrheit eben auch an der Zapfsäule der Tankstelle – beim Testwagen arbeitete sogar der Bordrechner korrekt, das kann nicht jeder VW.

Geht’s um das Fahrwerk, liegt die Wahrheit erneut auf der Straße. Vorbei ist’s mit der früheren magenverrenkenden Schaukelei. Der neue Crafter zeigt leer eine gesunde Härte. Beladen benimmt er sich überraschend sanft, doch ohne jede Schwammigkeit, und bleibt dabei narrensicher. Wer eine saubere Linie fährt, wird selbst bei scharfer Fahrweise kein Eingreifen des ESP bemerken. Auch schnelle Spurwechsel jucken den VW nicht. Überdies arbeitet die Lenkung sehr zielgenau und mit der richtigen Unterstützung.

Zwischendurch beschwert sich der Crafter jedoch mit leichtem Fahrwerkspoltern über allzu verknautschte Fahrbahnen. Und bei schneller Autobahnfahrt rennen die Energiesparreifen gerne Unebenheiten nach. In Kombination mit einer bei hohem Tempo in Mittellage etwas nervösen Lenkung und ordentlich Beladung auf der Hinterachse fehlt es dem Crafter dann am stabilen Geradeauslauf. Er streunt etwas unstet über die Fahrbahn und verlangt nach Konzentration am Steuer.

Trotzdem verlässt der Fahrer nach mehreren Stunden abwechslungsreicher und konzentrierter Fahrt den Crafter verblüffend entspannt. Dieser Transporter fordert seinen Fahrer nicht, er fördert ihn. Unterstützt von einer ganzen Sammlung von Assistenzsystemen. Der aktive Spurhalteassistent hält den Transporter sanft auf der Fahrbahn. Die automatische Distanzregelung verschweißt ihn sicher mit dem Vordermann. Der Ausparkassistent warnt und bremst bei Rückwärtsfahrt, der sensorbasierte Flankenschutz vor Hindernissen beim Rangieren. Der Parklenkassistent schließlich steuert den Crafter in passende Lücken. Nicht jeder benötigt alles, manche Helfer übertreiben es, je nach Einsatz sind alle nützlich.

Für und Wider:

Helfer an Bord Fahrer begehen Fehler, weil sie manchmal nicht nach Vorschrift handeln. Assistenzsysteme sind nicht fehlerfrei, weil sie stets nach Vorschrift handeln. Das Für und Wider zu technischen Helfern beginnt bei jeder Erfindung von neuem. Der Crafter versammelt mehr Assistenzsysteme als andere Transporter. Was sie können und was nicht – drei Beispiele:

Der aktive Spurhalteassistent hält den Crafter per Lenkeingriff auf Kurs. Das funktioniert, ordentlich geweißelte Linien vorausgesetzt, auf der Autobahn richtig gut. Lenkrad loslassen und vorsichtig ausprobieren: Zielsicher rollt der Crafter über die Bahn, segensreich bei einer kurzen Ablenkung. Nach spätestens 30 Sekunden muss der Fahrer wieder übernehmen. Spätblinker lenken prompt beim geplanten Spurwechsel über einen Widerstand, der Assistent hält dagegen. Das ärgert und erzieht zugleich. Auf kurvigen Landstraßen stört der Assistent, denn zwangsläufig nähert sich der breite Transporter den Begrenzungslinien – schon greift der Assi ein. Also abschalten – doch beim nächsten Einschalten der Zündung ist er wieder da. Fazit: hilfreich für Kilometerfresser, im Nah- und Überlandverkehr hinderlich.

Bitte mal reife 3,5 t-Kastenwagen anschauen: Ecken angemackt, Schweller zwischen den Rädern verbeult. Hier hilft der sensorbasierte Flankenschutz. Er warnt zuverlässig vor Pfosten, Begrenzungssteinen oder Mauern, die im Außenspiegel nicht zu sehen sind und im Dunkeln optisch verschwinden. Stimmt, er warnt auch vor harmlosen Zweigen oder Grasbüscheln. In denen steckt aber oft genug ein Hindernis. Fazit: sehr empfehlenswert. Der Parklenkassistent sucht sich auf Tastendruck eine passende Lücke und rangiert den Crafter wie von Geisterhand hinein – Gas geben und bremsen genügt. Das klappt gut und schnell. Allerdings nicht überall: Bei niedrigen Bordsteinen orientiert sich der Assistent an der Kontur des Vordermanns zur Straßenseite. Das heißt: Sortiert sich der Crafter hinter einem Lkw ein, steht er einen halben Meter entfernt vom Bordstein. Ist der Vordermann ein schlanker Pkw, parkt der Crafter mit einer Reifenbreite auf dem Bürgersteig. Fazit: nichts für die Fahrprüfung, aber gut für die Praxis.

VW Crafter 35 Assistenzsysteme

Der Crafter tritt mit einem ganzen Arsenal Assistenzsysteme an – für jeden Einsatz ist etwas dabei.

Technische Daten: VW Crafter 35 Maße und Gewichte

Länge gesamt: 5.986 mm Breite gesamt: 2.040 mm

Breite über Außenspiegel: 2.427 mm Höhe gesamt: 2.590 mm

Radstand: 3.640 mm Wendekreis: 13,6 m

Breite/Höhe Schiebetür: 1.311/1.822 mm Breite/Höhe Hecktür: 1.552/1.840 mm

Laderaum über Fahrbahn: 570 mm Laderaum (L/B/H): 3.450/1.832/1.861 – 1.961 mm

Breite zw. den Radkästen: 1.380 mm Ladevolumen: 11,3 m³

Leergewicht Testwagen: 2.363 kg Nutzlast: 1.137 kg

Zulässiges Gesamtgewicht: 3.500 kg Zul. Achslast vorn/hinten: 1.800/2.100 kg

Anhängelast bei 12 % Steigung: 3.000 kg Zul. Zuggesamtgewicht: 6.000 kg

Antriebsstrang

Motor: wassergekühlter Vierzylinder-Turbodiesel in Reihenbauweise, quer eingebaut. Elektronische Steuerung, Common Rail-Direkteinspritzung, Abgas-Turbolader. Zwei obenliegende Nockenwellen mit Antrieb über Zahnriemen, vier Ventile pro Zylinder. Bohrung/Hub 81,0/95,5 mm, Hubraum 1.968 cm³, Leistung 103 kW (140 PS) bei 3.500 – 3.600/min, maximales Drehmoment 340 Nm bei 1.600 – 2.250/min. Abgasrückführung, Oxidationskatalysator, Partikelfilter, SCR-Technik mit AdBlue-Einspritzung, schadstoffarm nach Euro 6.

Antrieb: Sechsgang-Schaltgetriebe mit Joystick, Übersetzungen 3,92 / 2,05 / 1,70 / 1,23 / 0,94 / 0,77, R.-Gang 4,95, Übersetzung Antriebsachse 5,0 (Gang 1–2) / 3,5 (Gang 3–6). Antrieb auf die Vorderräder.

Fahrwerk

Vorne Einzelradaufhängung mit McPherson-Federbeinen und unteren Dreiecks-Querlenkern, Stabilisator. Hinten Starrachse mit Einblatt-Parabelfedern, Stabilisator. Reifen 205/75 R 16 C auf Rädern 6 1/2 J x 16. Zahnstangenlenkung mit elektromechanischer Servounterstützung.

Bremsen: Hydraulische Zweikreisbremse, vorn und hinten innenbelüftete Scheibenbremsen, ESP mit ABS, ASR, elektronisch geregelte Bremskraftverteilung, Anfahrassistent, Bremsassistent. Mechanisch auf die Hinterräder wirkende Feststellbremse.

Wartung/Garantie

Wartung: max. 50.000 km/2 Jahre

Garantie: zwei Jahre Werksgarantie ohne Kilometerbegrenzung, drei Jahre Garantie auf den Lack, zwölf Jahre Garantie gegen Durchrostung, Mobilitätsgarantie nach Service.

Messwerte

Beschleunigung:

0 – 50 km/h: 5,0 s

0 – 80 km/h: 10,8 s

0 – 100 km/h: 15,8 s Elastizität: 60 – 80 km/h (IV/V): 3,9/5,5 60 – 100 km/h (IV/V): 8,4/11,0 80 – 120 km/h (VIII): 17,7

Höchstgeschwindigkeit: 158 km/h

Innengeräusche:

Stand/50/80/100 km/h: 50/61/66/69 db(A)

Vmax: 76 dB(A)

Kraftstoffverbrauch: Normverbrauch innerorts / außerorts / kombiniert: 8,3 / 6,9 / 7,4 l/100 km

CO2-Emission kombiniert: 193 g/km

Teststrecke beladen: 9,4 l/100 km

Testverbrauch min./max.: 7,1 – 13,9 l/100 km

Testverbrauch Adblue: nicht messbar


0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page